Literatur
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Cihan Acar »Hawaii«

»Willkommen in der Minderheit.« (9)

 

Vier Tage in Heilbronn. Der 21-jährige Ex-Fußballstar Kemal muss nach einem Unfall zurück in sein altes Leben im Problembezirk Hawaii, der mit dem Urlaubsparadies so gar nichts gemeinsam hat und wo die türkische Community mehr oder weniger unter sich bleibt. In ›Heilbronx‹ geht es rau zu, es handelt sich angeblich um die hässlichste Stadt Deutschlands – eine Kriegsversehrte, die neben der Fließbandarbeit bei Audi oder Knorr viel Betontristesse und Fremdenfeindlichkeit zu bieten hat. Kemal irrt vier Tage und Nächte durch die Straßen seiner Stadt und trifft auf alte Freunde und neue Feinde, steht auf Hochzeiten herum, geht ins Wettbüro und in den Stripclub, besucht seine Eltern und sucht nach einem Neuanfang, einer möglichen Zukunft – jetzt, wo es sich mit dem Fußball und dem Ruhm erledigt hat.

Sein geliebter Jaguar steht kaputt in der Tiefgarage, Kemal kommt regelmäßig, um mit ihm zu reden und ihn zu besänftigen, aber er ist einfach zu pleite und kann die Reparatur nicht stemmen. Ist aber auch zu stolz, um Hilfe anzunehmen und für Tayfun, den Star im Viertel zu arbeiten, der sein Vermögen mit Leiharbeitern macht.

Auch zu seiner Jugendliebe Sina kann er nicht zurück, sie hat ihn längst hinter sich gelassen. Es ist Rekordsommer und während der Asphalt zu schmelzen beginnt und das Wasser grau wird, braut sich etwas zusammen. Die Rechten geraten mit den Migranten aneinander: Plünderungen, Hetzjagten, Brandstiftungen – es ist Krieg in Heilbronn. Gewalt wird mit Gewalt, Hass mit Hass beantwortet. Und Kemal gerät zwischen die Fronten.

 

»Wer allein bleibt, den frisst der Wolf.« (52)

»Ich starrte lange in den fleckigen Spiegel, doch da war niemand. Ein Niemand ohne Geld, ohne Job, ohne Aufgabe. Ohne Sina, ohne Sinn.« (107)

Ohne Abitur, ohne Plan B und mit türkischem Namen steht Kemal keine rosige Zukunft bevor. Einzige tragische Verbindung in die Welt der Reichen, die er noch hat, ist sein kaputter Sportwagen und seine Ex Sina – zwei verpasste Gelegenheiten. In dem Protagonisten prallen zwei Welten, zwei Extreme aufeinander: die Upper Class und die Migranten des Prekariats – und nirgendwo fühlt sich Kemal wirklich zu Hause, er sitzt zwischen den Stühlen. Es mangelt an Vorbildern, an etwas, woran man glauben kann, einer sinnvollen Beschäftigung. Schnell muss er feststellen, dass man in Heilbronn untergeht, wenn man keine Verbündeten hat.

»Es war Zeit, wieder hinabzusteigen zum Rest der Stadt, zum Dampf und Rauch, zum Lärm und Geschrei. Dorthin, wo es nach Suppe roch und wo ich hingehörte, ob ich wollte oder nicht.« (161)

Und trotzdem meinen alle zu wissen, was das richtige ist für Kemal und wo er hingehört. Er ist ein bunter Hund, alle kennen ihn, alle fragen nach seiner Verletzung, seinen Plänen, aber es scheint, als wäre niemand wirklich interessiert an ihm. Keiner dringt zu ihm durch, seine Isolation wächst und er verrennt sich in schlechten Ideen und alten Träumen.

Cihan Acars vielgelobtes Debüt hat Wucht, auch wenn Kemal teilnahmslos und naiv beobachtend wie zufällig durch die Situationen stolpert. Der Autor findet ungewöhnliche Bilder, erschafft schräge Momente, kuriose Nachtgestalten und Kleinkriminelle und richtet seinen Blick mit viel ironischem bis zynischem Humor auf diese hässliche Stadt – bis es bitter ernst wird.

»Ich hatte nur kurz hallo sagen wollen und jetzt hatte ich die Hauptrolle bei König der Löwen im Migrantenremix. So schnell geht das.« (11)

 

»Nur Freaks in dieser Stadt, ohne Witz.« (31)

Es dominiert ein deprimierender Grundton: Heilbronn präsentiert sich als stadtgewordene Perspektivlosigkeits-Tristesse. Kemal ist als gerade einmal 21-Jähriger mit seinem Lebensentwurf gescheitert, antriebslos tapert er durch die Straßen seiner Jugend, aber bleibt dabei seltsam distanziert. Er wirkt teilnahmslos bis angeekelt, hat den Kontakt zu seiner alten Welt verloren, Er ist ein unscheinbarer Taugenichts und Träumer, der dann aber doch immer wieder in Schwierigkeiten gerät und schließlich als ziemlich weltfremder Versager dasteht, der die Zeichen noch ignoriert.

 »Ich schau nur nach hinten, nie nach vorne. Ich bin einundzwanzig und denke wie einer, der schon alles hinter sich hat.« (159)

Der Roman bildet schonungslos die zunehmende Gewaltbereitschaft der Neuen Rechten ab und die Unfähigkeit der Behörden, adäquat darauf zu reagieren.

Aber in erster Linie ist »Hawaii« eine Geschichte vom persönlichen Scheitern und wieder auf die Beine kommen.

»Man darf nicht auseinanderfallen, wenn etwas Schlechtes passiert.« (53)

 

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»Hawaii« von Cihan Acar umfasst 256 Seiten, erschien am 17.02.2020 bei Hanser Berlin und kostet im festen Einband 22,00 €.

 

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