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André Aciman »Fünf Lieben lang«

Der in Ägypten geborene Weltbürger André Aciman hat seit dem Welterfolg der großartig verfilmten und Oscar-prämierten Coming-of-Age-Geschichte »Call me by your name« eine riesige Fangemeinde. Sein neuer Roman »Fünf Lieben lang« ist eine Feier der Begierde. Lust und Leidenschaft, unabhängig von Alter oder geschlechtlicher Identität, die Unbeständigkeit und Illoyalität von Verlangen und die Rätselhaftigkeit des eigenen Ichs betrachtet Aciman hier episodisch und hält die Spannung der unerfüllten Sinnlichkeit für den Leser bis zum Schluss aufrecht.

»Wie der Donner nach dem Blitz ist mein wahres Ich oft meilenweit entfernt. Bisweilen donnert es nicht einmal. Es blitzt, und dann ist es still. Wenn ich dich sehe, blitzt es, und dann ist es still.« (175)

Jedoch führt der deutsche Buchtitel etwas in die Irre, da es sich weniger um einen Roman über fünf Liebesgeschichten im Leben des Protagonisten Paul handelt, sondern eher um fünf Leidenschaften, fünf Geschichten des Begehrens und Verzehrens. Diese erzählt Aciman als begabter Sensualist ohne dabei je einem machohaften Ton nachzugeben, sondern im Gegenteil über die Maßen zärtlich, sensibel und verunsichert.

»Wir lieben nur einmal im Leben, hatte mein Vater gesagt, manchmal zu spät, manchmal zu früh; die anderen Male ist die Liebe immer ein bisschen herbeigezwungen.« (84)

Fünf Lieben, das sind Nanni, Maud, Manfred, Chloe und Heidi – und Paul liebt jedes Mal bedingungslos, was Aciman vorführt, ist das intime Portrait eines unerschrocken Begehrenden. Fünfmal nutzt der Autor das gleiche Schema: die Geschichte einer verzweifelte Leidenschaft, wobei das Sehnen im Vordergrund steht, dem Leser die Erfüllung aber vorenthalten wird, was mitunter auch an der Persönlichkeit des Protagonisten liegt, der stets will, was er gerade nicht hat. Daraus ergibt sich, dass Aciman weniger über klassische Liebe schreibt, als mehr über erotische Eskapaden, Schwierigkeiten, Undefinierbares, Kompliziertes, über ungestilltes Verlangen.

 

Alles beginnt in Italien

Paulo, später dann Paul, verbringt jedes Jahr mit seiner weltgewandten Familie die Sommerferien auf San Giustiniano, einer kleinen italienischen Insel. Hier begegnet er schon mit zwölf Jahren zum ersten Mal diesem faszinierenden Zusammenspiel aus Verliebtsein, Begehren, Verunsicherung, Anziehung und Scham, das ihn sein Leben lang immer wieder in den Bann ziehen wird.

»Vielleicht kam ich nicht ausschließlich wegen Nanni wieder. Sondern auch wegen des Zwölfjährigen, der ich zehn Jahre zuvor gewesen war – obwohl ich wusste, dass ich weder den einen noch den anderen antreffen würde.« (8)

Diese erste und bis zuletzt reinste weil naivste aller Lieben erweckt Nanni in dem Jungen, der Kunsthandwerkstischler des Ortes mit den magischen Händen, der Paolo unter seine Fittiche nimmt und ihm alles über Holzverarbeitung beibringt, was es zu wissen gibt. Die stabilste Liebe des sprunghaften Pauls gilt aber ohne Zweifel seinem Vater, mit dem er über alles reden kann und deren Lieblingsbeschäftigungen es sind, zusammen Beethoven zu hören und im Limonenhain hinter der normannischen Kapelle, bevorzugt unter einem weiten Sternenhimmel, Erinnerungen für später zu sammeln.

»Nanni hätte mir alles beigebracht und wahrscheinlich alles gegeben. Stattdessen lief ich noch Jahre später den falschen Menschen hinterher, lernte von den falschen Lehrern, nahm von denen, die wenig zu geben hatten – fast nichts, das mir guttat.« (104)

 

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt

Die tragischste der fünf Lieben ist mit Abstand Pauls Studentenliebe Chloe, die sich alle paar Jahre durch Zufall treffen und jedes Mal entflammt ihre Leidenschaft aufs Neue, aber ihre Liebe kann entweder nicht sein oder sich nicht selbst tragen: »Wir liebten ohne Überzeugung, ohne Sinn und Zweck, ohne Zukunft.« (250)

Von Episode zu Episode wächst die Vermutung, dass Pauls Begehren etwas Zwanghaftes an sich hat. Er ist ein kindsköpfiger Protagonist der Fantastereien, der sich aufreibt und beinahe verliert in seiner Hin- und Hergerissenheit. Für die Leser*innen bedeutet das eine emotionale Achterbahnfahrt und ständige Widersprüche in seinen Aussagen.

»Du weißt nichts über mich. Du siehst mich, siehst mich aber auch nicht. Kein Mensch ahnt von dem Sturm, der in mir tobt. Das ist meine kleine Hölle, die niemand sieht, von der niemand weiß. Ich lebe damit, ich schlafe damit, ich genieße, dass niemand davon weiß. Bloß du sollst davon wissen, oh Gott nein, du darfst es auf keinen Fall erfahren.« (173)

Allein ist Paul eigentlich nie, was irgendwann ziemlich anstrengend wird – spätestens, wenn man bei dem Kapitel über Heidi angelangt ist, kann man sich nicht schon wieder emotional auf eine neue Liebesgeschichte einlassen. Paul krankt daran, dass er immer etwas anderes will als er gerade hat, ein sprunghafter, illoyaler Charakter, der uns trotzdem – oder gerade deshalb – an uns selbst erinnert.

»Du willst etwas von mir, aber du weißt nicht, was. Vielleicht bin ich bloß eine Vorstellung für dich, eine Projektion mit einem Körper. Irgendwas hat immer gefehlt. Deine Hölle besteht darin – und meine ja auch –, dass du, selbst wenn du bei Manfred bist, wieder bei mir sein willst. Wir beide lieben nicht so wie andere Menschen – wir verschwenden uns.« (304)

 

Fazit: »Was wir von einer Frau wollen, ist ein Sandwich und ein bisschen Frivolität.« (149)

»Fünf Lieben lang« ist abwechselnd tragisch und hoch emotional, schön, rührend, verführend – auch, wenn die emotionalen Hochs und Tiefs von Paul irgendwann etwas anstrengend werden –, und immer mal wieder blitzt auch der schelmische Humor eines gealterten Schriftstellers durch, der selbst viele Leidenschaften erleben durfte. Dieser Roman hat von allem etwas, wie eine echte Liebe eben.

 

»Und wenn wir nun, wir alle hier am Tisch, nur eine Insel wären, eine Insel im Monsun, die verzweifelt versucht, Haltung zu bewahren, und all unsere Kokospalmen stemmen sich dem Wind entgegen, bis sie dann doch zerbrechen, schon hört man die Stämme krachend bersten, die dicken, fetten Kokosnüsse prasseln auf die Erde, und immer noch machen wir gute Miene, reißen uns zusammen und laufen jeden Morgen extra munteren Schrittes ins Büro, weil wir doch alle nur darauf warten, dass jemand uns aus unserem faden, festgefahrenen Leben holt.« (224)

 

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»Fünf Lieben lang« von André Aciman wurde aus dem amerikanischen Englisch von Christiane Buchner übersetzt, umfasst 352 Seiten und erschien am 23. August 2019 bei dtv. Im festen Einband kostet der Roman 22,00 €.

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