Literatur
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»Je tiefer das Wasser« von Katya Apekina

Eine zerrüttete Familiengeschichte voller Obsession und Verblendung, gleichsam toxisch und schön, droht unter dem Gewicht von psychischer Krankheit und unheilvoller Erhöhung zu zerbrechen.

Die amerikanische Debütantin mit russischen Wurzeln Katya Apekina zeigt in ihrem Coming-of-Age-Roman auf beklemmende Weise, wie durchlässig die Grenze zwischen Liebe und Besessenheit, persönlicher Wahrheit und Wahn sein kann.

 

Als die 16-jährige Edith eines Tages ihre labile, manisch-depressive Mutter Marianne an einem Strick von der Decke baumeln sieht, ändert sich das Leben von ihr und ihrer kleinen Schwester Mae auf einen Schlag. Ihr zweiter Suizidversuch bringt Marianne in eine Nervenklinik und die beiden Schwestern zu ihrem Vater Dennis nach New York. Die beiden kennen den Casanova und Schriftstellerstar bisher nur aus den Erzählungen ihrer Mutter.

Hier kann Mae, die unter der erdrückenden Vereinnahmung und den düsteren Stimmungen ihrer Mutter besonders gelitten hat, endlich aufblühen. Edith dagegen fühlt sich Marianne gegenüber verpflichtet und lehnt den neu gewonnen Vater kategorisch ab. Schnell werden die beiden in die dramatische Vergangenheit ihrer Künstler-Eltern hineingezogen, die unheilvoll und schillernd zugleich scheint, und sie mit der Frage konfrontiert, was damals eigentlich passiert ist, das die Ehe und Gesundheit ihrer Eltern so stark gefährdet hat. Wer ist hier Täter, wer ist Opfer? Die beiden Schwestern entscheiden die Schuldfrage konträr zueinander, was ihre Leben in gegensätzliche Richtungen treiben wird…

Dabei scheinen die beiden Elternteile eine ähnlich zerstörerische Wirkung zu besitzen. Während die psychotische Mutter mit Verdacht auf Borderline-Syndrom – eine Veranlagung, die vererbbar ist – eine gefährliche Belastung für ihre Mitmenschen ist, entpuppt sich der Vater als Vampir-artiger Autor, der die Menschen um sich für seine Geschichten benutzt, um sie dann willenlos, abhängig und leer wieder auszuspucken: »Er mag seine Vögel, wenn ihre Flügel gebrochen sind.«

Marianne und Dennis erweisen sich als die zwei Sonnen dieses ins Ungleichgewicht gestürzten narrativen Systems, um die sich alle drehen – ihre verzweifelt-pathologische Liebe kann nicht funktionieren, sondern muss ins Zerstörerische kippen, die beiden verbrennen sich gegenseitig und ihr ganzes Umfeld gleich mit.

Der Roman nimmt immer rasantere Züge an, als Mae und Edith sich schließlich trennen und den Einflüssen der von ihnen überhöhten Elternteile erliegen. Der Wahnsinn erhält Einzug in die zersplitterten Familienzellen und fordert seine Opfer, aber auch die Möglichkeit auf Erlösung.

 

Je tiefer das Wasser, desto hässlicher die Fische…

Apekina erschafft in »Je tiefer das Wasser« faszinierende Figuren mit schillernden Vergangenheiten, nun gebrochen und verführt von der Dunkelheit. Das Schwanken zwischen außergewöhnlicher Anziehungskraft, phantasmagorischem Sog und auf der anderen Seite Zerstörung und Abgründigkeit hält einen in Atem.

Von allen Seiten wird auf diese vertrackte Geschichte geblickt: anachronistisch, aus verschiedenen Perspektiven und durch wechselnde Fokalisatoren erzählt, die mit jeweils unterscheidbaren Stimmen versehen werden. Und trotzdem wird man sehr leicht in diese rasante Geschichte hineingezogen, die von Anfang an einen starken Sog entwickelt – durch einen sympathischen, sehr sicheren Sound, unterhaltend, berührend und klar.

Die Autorin erlaubt ihrer Leserschaft, sich ein eigenes Urteil zu bilden, indem die Darstellung ambivalent bleibt und die entscheidenden Stellen mehrdeutig. Denn jeder schein hier eine andere Wahrheit zu haben, was letztendlich den Reiz der Geschichte ausmacht. Ihr gelingt die Gradwanderung, krasse Themen erträglich und trotzdem berührend zu verhandeln.

»Je tiefer das Wasser« bietet einen reichhaltigen Text, interessante Bilder, rasante Handlung und leisen Humor. Spannend, düster und eindringlich wird erzählt, erfindungsreich in Sprache und Konstruktion. Apekinas Debüt kommt frisch und originell daher, weist ein gekonntes Zusammenspiel der verschiedenen Erzählsituationen auf, macht auch vor Tabubrüchen nicht Halt und ermöglicht einen glaubwürdigen und nicht moralisierenden Blick in verschiedene gequälte Psychen.

 

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»Je tiefer das Wasser« von Katya Apekina, übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit, umfasst 396 Seiten, erschien am 17.02.2020 bei Suhrkamp und kostet fest gebunden 24,00 €.

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