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Candice Carty-Williams »Queenie«

Drama-Queen

Vorweg sei angemerkt, dass ich auch mit »Bridget Jones« und »Sex and the City« nicht viel anfangen kann, mich aber die Themenschwere, die Preise und der überwältigende Kritikerstimmenchor angelockt haben.

Und man schicke außerdem vorweg: Liebes Verlagswesen, warum müssen alle, ALLE, Bücher mit feministischen Themen eigentlich grundsätzlich in einer Farbskala von Bonbonrosa bis Pink aufgemacht werden? Coversehgewohnheiten hin oder her, diese Farbgenderei ist wirklich nicht erträglich…

 

Adichie meets »Bridget Jones«, die zu viel »Sex and the City« geschaut hat

Die Autorin Candice Carty-Williams, der großartige Blurbs entgegensprudeln, greift selbst zu den Schlagworten »Chick Lit« und »Bridget Jones« für ihr Debüt. Ob sich das einlöst?

Queenie ist um die Dreißig und arbeitet im Kulturressort einer Zeitungsredaktion in London, aber eigentlich lässt sie gerade alles ziemlich schleifen, dabei würde sie gern über politischere Sachen wie Black Lives Matter schreiben, was allerdings nicht gerade gefragt ist bei dem auflagenstarken Blatt. Seit der Trennung von Tom – eigentlich ist es nur eine »Pause«, Queenie wartet ungeduldig darauf, dass ihr weißer Boyfriend wieder zur Vernunft kommt – trifft Queenie impulsiv eine falsche Entscheidung nach der anderen und begibt sich auf einen langen Weg bergab.

Auch wenn Queenie nicht gern darüber redet, stammt sie aus problematischen, um nicht zu sagen ziemlich toxischen Familienverhältnissen. Ihre Familiengeschichte ist geprägt vom Fortgang aus Jamaika, ihre Kindheit von Gewalt und Abhängigkeit im finanziellen Prekariat.

Und während Queenie nun auf die Reue ihres Exfreunds wartet, versucht sie sich mit einer Reihe Dates abzulenken. Was zunächst harmlos klingt, entwickelt sich schnell zu einer obsessiven Selbstzerstörungslust.

»Du bist einfach verrückt nach Boys. Verrückt nach Zurückweisung.« (304)

Es geht um sexuelle Gewalt, die man nicht als solche erkennt, die Unfähigkeit, ein Kondom einzufordern, die Angst vor Geschlechtskrankheiten, um unrealistische Erwartungen und verdrehte Vorstellungen eines perfekten Partners als Lebensziel, um Männer, die sich reihenweise wie die größten Arschlöcher verhalten – allen voran ein Typ namens Guy – und bei den Frauen dann auch noch Stutenbissigkeit und Konkurrenzgehabe auslösen. Mit anderen Worten um ziemlich harten Tobak und die größten Fallstricke eines sexistischen Patriarchats. Und dass das Ganze nicht einfacher wird, wenn man von seiner weiß-dominierten Umgebung als Schwarz gelesen wird.

Trauma ist ein schlechter Scherz

Es sollte mittlerweile deutlich geworden sein, dass die slapstickhafte, humoristische Tonalität, die mit dem »Bridget Jones«-Vergleich aufgerufen wird, in »Queenie« ziemlich kurz kommt. Vielmehr geht es ums Scheitern, um seelische Krankheit und toxische Verhaltensweisen, um Rassismus und Misogynie. – Ich fand das Buch weder witzig noch herzzerreißend oder spannend, wie viele Pressestimmen behaupten und vom Verlag evoziert wird, sondern habe mich von »Queenie« an grelle Telenovelas erinnert gefühlt, an unterhaltende »Chick Lit«, wenn man es so nennen will, die man wie eine einfach gestrickte Serie wegatmet. Zwar werden wichtige und gewichtige Themen angesprochen, und dennoch gingen mir die Klischeefiguren sehr gegen den Strich; ständige Übertreibung, Drama und Dialogüberfrachtung sind auf Dauer bannig anstrengend.

Der Text bemüht sich zwar, der thematischen Schwermut hier und da etwas Witz entgegen zu setzen, trifft mit Running Gags, die auf den Clash der Holzschnitt-Figuren abzielen, aber so gar nicht meinen Humor. Da ist zum Beispiel die ugandische Sexbomben-Freundin Kyazike, die ständig Wörter benutzt, die Queenies steife weiße Büro-Freundin im Urban Dictionary nachschlagen muss.

Das Ganze, Queenies Abwärtstaumel, wird auf eine plapperhafte Art abgehandelt: jede Menge Jugend-Gangster-Slang wie aus Mädchen-Magazinen und dialektale Anglizismen, die das von Queenies Familie gesprochene Kreol andeuten sollen und dazu ist die Geschichte noch durchdrungen vom Chatverlauf einer schnatternden Schar Freundinnen, die »Corgis«, die jede Plotentwicklung noch einmal kommentieren müssen. Gekrönt von einer Art Mit-Stöckelschuhen-im-Matsch-Steckenbleib-Humor wird später ironisch augenzwinkernd angemerkt, dass die Freundinnen unter sich ständig nur über Männer reden und den Bechdel-Test nicht bestehen würden, aber faktisch ist das leider wahr und trotz des Reflexionsmoments ziemlich traurig.

 

 

Eine orgasmusfreie Welt für Frauen

In Queenies Welt treten die Frauen theoretisch sehr aufgeklärt und abgeklärt auf, selbstbewusst und sexuell aktiv, in der Praxis fällt es ihnen allen aber noch schwer, das auch umzusetzen, selbst dran zu glauben und es notfalls einzufordern. Ganz wie im »Sex and the City«-Vorreiter wird hier viel und freizügig über Sex geschrieben, allerdings nie über guten – kein Frauen-Orgasmus nirgends.

Knackpunkt für die Mädels in »Queenie« ist Folgendes: Mehrheitlich sind Frauen mittlerweile sexuell so aktiv wie Männer (hat die Logik je einen anderen Schluss zugelassen?!), aber noch nicht so gut darin, ihre Befriedigung auch einzufordern, selbst mal die Regie zu übernehmen oder zumindest Einwände zu erheben, wenn der Mann danebenliegt. So werden sie allerdings nicht sozialisiert und auch die Popkultur lehrt es sie nicht. Und solange Frauen wie Queenie nicht anfangen, ihre Lust genauso wichtig zu nehmen wie die der Männer, können diese ihre Sexpartnerinnen noch immer wie Körperöffnungen auf zwei Beinen behandeln, die ihnen jederzeit zur Verfügung stehen und sich hinterher auch noch einbilden, das wäre gelebte sexuelle Freiheit für beide Seiten.

»Diese düsteren Gedanken und Befürchtungen drehten sich hauptsächlich darum, dass ich, bevor Guy anfing, mich sexuell auszubeuten, Männer in einem Tempo verschliss, das ich mir selbst nie zugetraut hätte. Wenn ich mir erlaubte, darüber zu viel nachzudenken, dann fühlte ich mich ziemlich unwohl und war zugleich überzeugt, dass ich mir irgendeine unheilbare Krankheit zugezogen hatte.« (179)

Queenie lässt sich auf eine ganze Menge casual Sex ein und glaubt, dass die Tatsache allein sie schon zu einer modernen, selbstbestimmten und glücklichen Frau machen. Dass sie aber gar nicht weiß, was sie will, und das folglich auch nicht durchsetzen kann, dass der viele Sex sie nicht nur nicht befriedigt, sondern auch noch verletzt und ihrem Selbstbewusstsein schadet, und sie sich wie zwanghaft trotzdem immer wieder darauf einlässt, ist ihr nicht klar.

»Wenn ich es nicht wollte, warum ließ ich es dann zu? Sicher wollte ich es, oder? (…) Ich kam zu dem Schluss, dass ich es wollte, mir aber auch wünschte, dass es schnell vorbeiging.« (261)

Die Datinghölle, durch die sie an der Seite von OkCupid geht, ist weniger »Bridget Jones«-artiges Fettnäpfchen-Gestolper, sondern eine übergroße traumatisierende Arschloch-Galerie – kommt überhaupt ein einziger positiv besetzter Mann im ganzen Roman vor?!

»Du hast diese verdammt trostlosen Dating-Apps gelöscht, die dich vergessen ließen, dass du nicht nur aus großen Boobs und einem Hintern bestehst, sondern ein Mensch bist. Und zwar ein verletzlicher.« (539)

So kommt es, dass der Großteil des Buches eine erzählte Therapie darstellt. Positiv ausgedrückt könnte man sagen, die Therapieszenen setzen Queenies destruktives Verhalten in einen theoretischen Kontext, negativ ausgedrückt erklären sie einem die Protagonistin, buchstabieren die Figur mit psychologischen Muster-Klischees aus und überlassen nichts der eigenen Verantwortung – und letztendlich wird so auf der Oberfläche erzählt, dass viele lockere sexuelle Kontakte das Leben einer Frau zerstören. Eine unelegante Auflösung in einem ohnehin sehr repetitiven Text, da die »Corgis« pausenlos und zwanghaft Queenies Verhalten in Worte fassen müssen.

»Du bist so verschlossen, dass echte Liebe für dich unerreichbar ist, deshalb gibst du dich mit Sex zufrieden. Mit jedem, der bereit ist, dich zu vögeln. Dein Selbstwertgefühl ist ein Witz.« (364)

Frauenprobleme & Frauenhygiene: Queenies Verhalten trifft aber nicht nur unter ihren Freundinnen auf Unverständnis, auch innerhalb der Familie clasht es gewaltig, ein mustergültiger Generationenkonflikt. Sie gehört zu den Nachkommen, die mit »Sex and the City« aufgewachsen und aufgeklärt worden sind, was auf die Prüderie, Scham und das Sprechverbot der Älteren prallt.

»Wenn es dir ernst damit ist, irgendwas Längerfristiges anzustreben, und ich hasse es wirklich, das zu sagen, aber dann solltest du mindestens bis zum zweiten Date warten. Es sollte Frauen freistehen, beim ersten, zweiten, fünfzehnten Date Sex zu haben, ohne dass man sie dafür verurteilt oder abschreibt, aber traurigerweise sind Männer in diesem Punkt nicht so weit entwickelt wie Frauen.« (485)

 

Frau sein, feministisch sein, schwarz sein

»Auf angry black girls scheinen die Jungs nicht zu stehen.« (64)

Ähnlich wie bei Adichie geht es hier um intersektionale Betrachtungen. Um die belastenden Alltagserfahrungen einer kurvigen Schwarzen Frau (auch und gerade durch Menschen, die glauben ach so aufgeschlossen und weltoffen zu sein), um quälende Schönheitsideale, Haarmoden, (pop-)kulturelle Prägung, Vorurteile und Fettnäpfchen.

»›Vielleicht sollte ich es auch mal mit weißen Jungs probieren, so wie du. (…) Aber die würden mich nicht mögen. Ich bin denen zu schwarz. Die wollen kein dunkles schwarzes Mädchen.‹
›Sei nicht albern. Ich bin der Beweis dafür, dass sie uns überhaupt nicht wollen, egal in welcher Schattierung.‹ Ich seufzte tief. ›Warum kann ich nicht einfach ein Happy End haben, Kyazike?‹
›Machst du Witze, Fam? Denkst du, das Leben ist ein Film? Und selbst wenn es einer wäre, Fam, wir sind schwarz. Egal in welcher Schattierung, wir wären die Ersten, die sterben müssen.‹« (371f.)

Wie bei Adichie geht es um Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen, Self Care, Self Love, Body Positivity und die Stärke von Frauenfreundschaften. Ein Self Empowerment-Buch, das aber leider, leider die meiste Zeit ziemlich deprimierend oder nervig für mich war.

»Queenie« kommt definitiv mit einer sehr guten Grundintention daher, aber mit seinem Telenovela-Stil konnte ich einfach nicht warm werden. Die Figuren sind zu holzschnittartig und die die Protagonistin eine ausgewachsene Drama-Queenie. Die Corgis-Clique erinnert deutlich an das »Sex and the City«-Quartett, auch sie stehen für die verschiedenen Facetten einer Frau und sind in ihrer Ausrichtung deshalb alle sehr extrem und künstlich.

Immerhin vereint Queenie einige Gegensätze in sich: Sie ist naiv und abgeklärt, stark und labil, setzt sich (meistens) gegen Rassismus zur Wehr, tappt aber in alle Sexismusfallen. Deshalb wirkt sie aber noch nicht wie eine facettenreiche Figur, sondern viel mehr wie eine unentschieden konzipierte, die immer eines ist: Hauptsache drüber.

 

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»Queenie« von Candice Carty-Williams, aus dem britischen Englisch übersetzt von Henriette Zeltner-Shane, umfasst 544 Seiten, erschien am 13.10.2020 bei Blumenbar und kostet gebunden 22,00 €.

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