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»Unfog Your Mind« empfiehlt Leander Greitemann gegen Mindfuck, Mindfog und Co.

Als Wolkenfänger gegen den Nebel vorgehen

Ratgeber kommen uns äußerst selten in die Tüte… Dieses herrlich gestaltete Sachbuch vom selbsternannten „Live-Philosophen“ Leander Greitemann dagegen, hat uns neugierig gemacht.

Wie umgehen mit dem Nebel in unseren Köpfen, der uns die Gedanken und Tage verhagelt?

Achtsamkeit, Mindfulness – das ist was für Yoga-Tanten? Weit gefehlt. Denn in »Unfog Your Mind« erzählt Greitemann nicht nur äußerst humorig und zum Bersten – fast schon manisch – gefüllt mit Wortwitz und Sprachspielen von den Tiefschlägen, Sackgassen und Arschlochtagen im Leben, sondern gibt auch eine Menge Tipps, Life-Hacks, Lektüreanregungen und simpler Experimente zum Nachmachen und Besserwerden.

»Haben oder Sein?«, das ist hier die Frage

In 20 Kapiteln geht er verschiedenen Aspekten typischer Alltagsprobleme mit sich selbst und anderen nach, umkreist dabei aber immer wieder dieselben Kernaussagen seiner Philosophie: »Unfog Your Mind« ist ein Aufruf, in Zukunft etwas mutiger zu sein und Sachen anders, neu zu machen. Dabei gibt er gute Tipps an die Hand, wie man Angst, Zweifel und Wut, die einen daran hindern, überwinden kann. Oder wie er selbst es ausdrückt: ein »Perspektivwechsel für mehr Lebenslust und LeichtSinn«.

Greitemann ist davon überzeugt, dass in der Regel wir selbst das Problem sind, das uns im Weg steht. Die gute Nachricht: Das passiert alles nur in unserem Kopf, lässt sich also ändern. Alles basiert lediglich auf deinen Gedanken, entspringt deiner Perspektive auf die Welt, basierend auf deinen individuellen Erfahrungen und Erwartungen – was Realität ist, weiß daher niemand. Seneca und so… Nicht mal unsere Augen nehmen ungetrübt die Welt da draußen wahr: Wir haben eine langsame, manipulierbare Wahrnehmung, ein sehr eingeschränktes Sichtfeld, blinde Flecken. Alles, was wir zu sehen glauben, ist das Ergebnis unseres Gehirns, das die visuellen Reize ergänzt, mit Erfahrungen abgleicht und auf dessen Basis bewertet. Nichts und niemand auf der Welt macht uns also tatsächlich glücklich oder unglücklich – das sind wir selbst, unser Gehirn, das eine Interpretation des Wahrgenommenen liefert und mit unseren Erwartungen an das Leben vergleicht. Unsere Gedanken sind aber nicht wahr, die Perspektiven gehen bekanntlich weiiiit auseinander, und vor allem sind unsere Gedanken nicht wir, unser Charakter – würde man ungefiltert seine Gedanken niederschreiben, man wäre schockiert… Und, wie gesagt, Gedanken lassen sich ändern, bewusst reflektieren.

»Love it, Change it or Leave it!«

Was dich unzufrieden macht, muss aus deinem Leben weichen. Entweder musst du es verändern oder lernen, zufrieden mit dem zu sein, was ist, oder es eben hinter dir lassen. Ein wahrer Mindblow-Gedanke: Du musst gar nichts. Niemand kann dich zu irgendetwas zwingen. Weder zu deiner Arbeit noch sonst irgendwas. Am besten streicht man gleich jegliche Opfer-Vokabeln wie »ich muss«, »ich kann nicht«, »ich darf nicht« aus seinem Wortschatz.

Alles kann, nichts muss…

Die Spieltheorie hat’s bereits gezeigt: Mit Kooperation kommen wir weiter. Wer würde ernsthaft ein Win-Lose einem Win-Win vorziehen?! Wie ich bereits in dem bezaubernden Road Movie »303« gelernt habe: Wir stammen von den Cro-Magnon-Menschen ab, nicht vom Neandertaler – der ist dagegen ausgestorben, weil Ersterer zur Kooperation fähig war, zu Gemeinschaft, Arbeitsteilung und Verantwortung. Wir sind soziale Wesen, das steckt uns im Blut. Weniger Mir, mehr Wir. Mehr Verbundenheit, mehr wahren, tiefen Kontakt zu anderen, das schlägt auch Greitemann vor.

 

»Drop it like it’s hot!«

Der Grundstein zum Unfoggen ist ein scheinbar simpler Move: Abstandnehmen von negativen Gedanken oder sich von ihrem Gegenteil überzeugen. Du denkst, du bist nicht gut genug? Schön genug? Ungeliebt? Talentlos? Hast Angst vorm Scheitern? Vorm vor anderen Menschen Sprechen? Wer wärst du ohne diese Gedanken? Gute Vorstellung?! Dann versuch dich diesen Gedanken zu stellen und dann von ihnen zu distanzieren, sie einfach ziehen zu lassen. Sind sie wirklich wahr? Woher willst du das wissen? Was passiert, wenn du dich vom Gegenteil überzeugst und danach handelst? Kein Weltuntergang, soviel ist mal klar. Seinen Kopf von diesen festgefahrenen Vorstellungen zu befreien, von Vor-Urteilen, Ängsten und Erwartungen, kann ein neues Leben bedeuten. Ein Fokus auf das Hier und Jetzt und was wirklich ist. Meditieren soll dabei helfen… Eine Ãœbung gibt es von Byron Katie, nachzulesen in dem Buch »The Work«.

Der Spiegel der anderen – das Problem bist du, Digga!

Auch wenn es um Konflikte mit anderen geht, ist Greitemann der Überzeugung, dass das Problem bei uns liegt. Der Vorwurf als Selbstaussage, der Streit mit anderen als Projektionsfläche für die Dinge, mit denen wir selbst hadern. Alle denken insgeheim von sich, dass sie überdurchschnittlich seien. Und du bist dagegen der*die einzige, der*die sich richtig einschätzt?! Wir überschätzen uns alle permanent und sind im Umkehrschluss zu kritisch mit unserem Umfeld. Dabei sind es mal wieder unsere Erfahrungen und Erwartungen, unser Interpretationskontext, der uns an die Decke gehen lässt, und nicht das Verhalten der anderen. Verzeihen ist nicht nur eine Tugend – Groll gegen andere schadet uns vor allem selbst. Und ist in den meisten Fällen auch unfair. Gedanken zulassen – wertfrei beobachten – und ziehen lassen. Alles nur Fake News! Es geht dabei nicht um Schuld, sondern um die wahre Ursache unseres Leids und wie wir die Geschichten, die unser Hirn zusammendichtet und die uns im Weg stehen, wieder loswerden können. Es geht ihm um das Überdenken deiner Einstellung, um eine kindliche Unvoreingenommenheit. Sympathischerweise wirft Greitemann dann sofort einen augenzwinkernden Rat ein:

»Ich würde aus eigener Erfahrung dringend davon abraten, geliebte Personen im Umfeld darauf hinzuweisen, dass ihre Wut über dich nichts mit dir zu tun hat. Wenn du es doch tust, sei bereit für ein Feuerwerk der Wutexplosion, das sich vor deinen Augen entfalten wird.« (194)

Obacht: An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass Greitemann für Menschen ohne echte Probleme schreibt. Mittellose, Obdachlose, Traumatisierte und Gewaltopfer könnten sich von dieser Argumentationsweise verhöhnt fühlen.

 

Selbstoptimierung optimieren

Wenn Stressabbau zum Stress wird, pervertieren wir die Selbstoptimierung – dieses gefräßigste Monster des 21. Jahrhunderts. Um-Zu-Erwartungen sind dabei der Schlüssel zur Hölle. Lernen, um zu bestehen. Lesen, um im nächsten Gespräch angeben zu können. Ins Ausland für einen guten Lebenslauf… Es gibt unzählige dieser Um-Zu-Verhängnisketten und sie dominieren unser Denken. Get rid of it! Sei krass und mach Dinge, weil sie dich interessieren und du den Moment genießt. Du hast eine Menge Zeit im Leben – wofür willst du sie wirklich nutzen?!

Mehr ist mehr oder weniger weniger

Und noch so ein verrückter Gedanke: einfach mal Pausen einlegen. Wir sind nicht effektiver, nur weil wir die Nacht durcharbeiten und die Letzten im Büro sind. Das Gehirnareal für rationales Denken braucht Pausen und genügend Schlaf, sonst übernehmen Schweinehund und Triebbefriedigung. Nach 52 Minuten ist im Durchschnitt unsere konzentrierte Aufmerksamkeit am Ende und wir brauchen eine Erholung. Weiß jede*r, der*die schon mal in einer Vorlesung saß…

Unterm Strich liefert Leander Greitemann mit »Unfog Your Mind« eine Menge wertvoller Gedankenanstöße und Handlungstipps – nichts davon unglaublich neu oder unerwartet, darunter auch Klassiker wie »Der Weg ist das Ziel«, aber die scheinen eben ihre Berechtigung zu haben –, eine noch größere Menge Witz und Spritz und das Ganze ist von Katrin Schacke in ein sehr ansprechendes Gestaltungskonzept gegossen worden. Lohnt sich!

 

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»Unfog Your Mind« von Leander Greitemann umfasst 224 Seiten mit 20 Auftaktgrafiken, erschien im April 2020 beim Verlag Hermann Schmidt und kostet als Flexcover 27,00 €.

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