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Einer »Von dieser Welt«
– James Baldwin

James Baldwins stark autobiographisch gefärbter Roman erzählt mit unschlagbarer Wortkraft von den inneren und äußeren Auseinandersetzungen eines schwarzen Jungen, der nach seinem Platz in der Gesellschaft sucht, der auf dem Weg Gottes wandelt und ins straucheln gerät, weil es Sexualität versus Glauben heißt. Am Ende steht die Frage: Kann es eine Erlösung durch Gott geben?

Wir begleiten John Grimes am Tag seines 14. Geburtstages, an dem er beschließt nicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und Prediger zu werden. John wächst in einer sehr gläubigen Familie auf, die in Harlem lebt. Die Verbundenheit zu Gott ist groß in seiner Familie und auch John ist sehr fromm und gottesfürchtig. Sein Vater Gabriel ist Reverend in der ansässigen Kirche, und so barsch und abweisend wie er sich John gegenüber gibt, so sehr ist zu spüren, dass sein leiblicher Sohn Roy, sein Lieblingssohn ist. Roy säuft, treibt sich nachts mit zwielichtigen Gestalten rum, gerät in Messerstechereien und gibt einen scheiß auf Gott und vor allem auf das, was sein Vater tut und sagt. Während Gabriel mit Roy Nachsicht walten lässt, beobachtet er John mit strengen Blick und harter Hand, der für ihn wiederum nur Hass und Verachtung empfinden kann. Trotz seiner Nähe zur strengen Gläubigkeit trägt John die Neugier eines Heranwachsenden in sich, den Wagemut etwas auszuprobieren, und so passiert es, dass er heimlich auf der Schultoilette onaniert. Diese Sünde lastet schwer auf seinen Schultern und ist der Beginn für seine Zweifel. Bald darauf entdeckt er seine Gefühle für andere Jungen und es entspinnt sich ein noch tieferer innerer Konflikt von Wollen und Nicht-dürfen, Verlangen und Verbot, Glaube und Unglaube. Hin und hergerissen zwischen dem Erforschen der eigenen Identität, der Verhandlung von Homosexualität, der dunklen Hautfarbe und den Geboten der Bibel, die nicht mehr vereinbar zu sein scheinen mit dem eigenen Handeln, landet John am Ende des Tages vor dem Kreuz der Kirche. Kniend und mit Tränen in den Augen, bittet er Gott um Gnade seiner Seele.           

Der Roman lebt und atmet durch seine musikalische, blues-geschwängerte Sprache. Gleich zu Beginn der Geschichte befinden wir uns unter den Teilnehmern eines Gottesdienstes, der zu einer Tanzmesse ausartet. Es klatscht und jubelt der ganze Saal, völlig in Ekstase zu Gottes Worten und in ihren Liedern versinkend. Baldwin schildert diese Szene mit so viel Verve und Bewegung, dass man als Leser mitgerissen wird und wie die Menschen am Ende der Messe außer Atem und durchgeschwitzt zurückbleibt. Welch ein Erlebnis!

»Eben noch saß er singend und spielend am Klavier, Kopf in den Nacken geworfen, Augen geschlossen, die Stirn schweißbedeckt, dann spannte er sich an wie eine große schwarze Katze, die im Dschungel in Bedrängnis gerät, zitterte und schrie.« S.29


Es gibt allerdings auch einen sehr starken biblischen Duktus im Roman, der nicht zu unterschätzen ist. Es gibt lange Passagen, die von religiöser Ekstase durchzogen sind und aus Predigten, mahnenden Gebetsworten, Lobpreisungen des Herrn und anderen Auseinandersetzungen mit Gott bestehen. Baldwins Ausdruckskraft ist einmalig und definiert sich ohne Kitsch und Sentimentalität als sehr treffsicher, jedoch können diese biblischen Worte schon etwas befremdlich und sperrig wirken. Auf weiten Strecken hatte ich Probleme dieses Gedankengut aufzunehmen, aber das wird wohl jeder anders empfinden, beruhend auf der persönlichen Beziehung, die man zu Gott und dem christlichen Glauben hat oder nicht. 🙂

Wir lernen in diesem Roman nicht nur den kleinen John näher kennen, sondern auch seine Tante Florence, die Mutter Elizabeth und natürlich seinen Vater Gabriel. Diesen drei Personen ist der zweite Teil im Buch gewidmet, in denen sie in einzelnen Kapiteln, viel Raum für ihre persönliche Geschichte erhalten. Überschrieben ist das Ganze mit dem Titel „Die Gebete der Gläubigen“, was bereits darauf hindeutet, dass sie alle mit unterschiedlichsten Problemen eine Lösung bei Gott suchen.       
Gabriel, der sich die Frauen nimmt, die er begehrt, bevor er sich dem Ausmaß seiner Sünde bewusst wird und zu einer Pilgerreise Gottes aufbricht.      
Elizabeth, die einen geliebten Menschen verliert.       
Florence, die in ihrem Leben viel durchgemacht hat, aber es mit Fassung trägt. Ihre Stärke, ihr Mut und ihre Power haben mich sehr beeindruckt.
Sie ist eine Frau, die unabhängig sein will und sich schon in jungen Jahren für ein Leben entscheidet, das jeglichen üblichen Konventionen widerspricht. Sie verlässt ihr Elternhaus und geht nach New York. Sie flüchtet vor ihrem Schicksal einen Mann zu heiraten, Kinder zu gebären und den Rest ihres Lebens hinterm Herd verbringen zu müssen. Sie will mehr und geht voller Hoffnungen auf ein besseres Leben in die Nordstaaten. Sie entkommt zwar dem Käfig, den Kirche, Religion und Familie für sie bilden, jedoch nicht dem Rassismus.

»Und er fiel gegen den Baum, sank zu Boden und klammerte sich an die Wurzeln. Er hatte in die Stille gerufen, und nur die Stille antwortete – und doch schallte sein Schrei bis an die äußersten Enden der Welt.« S.141


Baldwins Roman ist durchdrungen von Rassismus, expliziert es dabei aber nie. Johns, Gabriels, Florence’ und besonders Elisabeths Lebenssituation ist gefärbt von Ungerechtigkeiten und Benachteiligung aufgrund ihrer Hautfarbe und doch hat man nie den Eindruck, dass sich diese Tatsache in den Vordergrund der Geschichte drückt. Eine viel präsentere Rolle spielt das daraus resultierende Leid und die Auseinandersetzung der Gläubigen mit Gott, jenen, die in ihrer Verzweiflung und Zerrissenheit Trost suchen, die Erlösung aus ihren Sünden bei Gott finden wollen.
Florence durchlebt eine harte Zeit und sie scheitern zu sehen ist bitter und tragisch, und doch ist es beeindruckend zu sehen, wie eine starke Frau ihren Weg meistert.

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»Von dieser Welt« von James Baldwin. Roman. 317 Seien. 22€. Erschienen bei dtv am 28. Februar 2018.

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