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Theresa Lachner frönt dem »Lvstprinzip«

»Theresa Lachner hat eine entwaffnend offene Biografie ihres Begehrens geschrieben.« – Meredith Haaf

In ihrer tagebuchartigen Sammlung von Blogeinträgen schreibt Theresa über sich. Über ihre Reisen als Bloggerin und Sexjournalistin, über private Erfahrungen mit Sex und Liebe, über Lust, Körperlichkeit, Selbstermächtigung und vor allem über Ehrlichkeit. Denn wenn wir es schaffen, sehr viel offener mit diesen Themen umzugehen, könnten wir alle freier, und vielleicht sogar glücklicher sein. Also fängt sie gleich mal damit an.

»Freiheit ist das Recht, nicht zu lügen, hat Camus mal gesagt. Für mich ist Schreiben die beste Art, diese Freiheit auszuleben. Und deswegen liebe ich es auch, über Sex zu schreiben. Das ist nämlich ein Thema, das meiner Meinung nach noch extrem viel Wahrheit vertragen kann. (…) Genau das passiert nämlich, wenn man von seiner Freiheit, nicht zu lügen, Gebrauch macht: Ehrlichkeit multipliziert sich. Me too, me too, me too.« (9)


»Ab jetzt bin ich offiziell gut genug. Und zwar aus Prinzip.« (202)

Frauen scheinen irgendwie immer ›zu‹ oder ›nicht genug‹ irgendwas zu sein, aber wie fühlt man sich genau richtig? Darüber hat Theresa viel nachgedacht, recherchiert, meditiert und schließlich ihre produktive Wut und was ihr auf dem Weg zu (vorläufigen) Antworten passiert ist, in kluge, witzige und beißende Texte fließen lassen. »Lvstprinzip« nennt sie ihren Blog, auf dem sie aufklären, anregen, empowern, Mut machen möchte.

»Lvstprinzip soll der Ort werden, an dem Sexualität so sein kann, wie sie ist. Frei von moralischer Konvention, pseudospiritueller Überhöhung, unrealistischen Pornostandards, boulevardesker Ausbeutung, absurden Körperbildern, realitätsfremden Ratschlägen.« (91)

 


Great Consent statt Blowjob-Anleitung

Die Bloggerin möchte ein Zeichen entgegen der gängigen Frauenmagazine setzten, für die auch Theresa eine Weile geschrieben hat. Hinter den Hochglanztexten stecken rigoroses Framing und das Bedienen von Marktforschungslogik und Produktplatzierungen. Texte, die Sexismus- und Lookismus-Strukturen immer weiter stärken (›Wie sie IHN so richtig um den Verstand bringen‹) und journalistische Ethik und Haltung ersticken. Diese Zeitschriften machen unsere Körper zu einem Konjunktiv, zu einer großen Baustelle, einem zweiten Arbeitsplatz, wobei alles mit den paraten Tipps doch soo machbar erscheinen soll. Auf ihrem eigenen Sexblog kann Theresa diese Mechanismen thematisieren, problematisieren und ihnen entgegenwirken und damit scheint sie einen Nerv zu treffen: »Lvstprinzip« erlangt rasend schnelle Bekannt- und Beliebtheit.

»Anscheinend geht so erfolgreiches Frausein: frieren, Angst haben und keine Kraft, aber dafür geil aussehen.« (190)

 

 

»Ich arbeite am Lvstprinzip. Mit v statt u, weil Vulva, Vagina und weil natürlich Domain nicht mehr frei.« (90)

Und so entsteht eine Mischung aus der Autobiografie einer modernen Anfang Dreißigerin, Reisebericht und feministischem Pro-Sex-Manifest mit einer Spur Aufklärungsarbeit – über allem steht dabei aber die Überzeugung, dass es keine allgemeingültige Anleitung gibt, sondern jede*r für sich einen Prozess der Bewusstwerdung und Sensibilisierung, des Hinterfragens, Erforschens und Austestens anstoßen muss. Hauptsache weg von Diätenwahn und Bodyshaming und hin zu mehr Verständnis für den eigenen Körper und Lust. Wissen, was man möchte, was einem gefällt und sich gut mit sich fühlen.

»In den zehn Jahren, in denen ich über Sex schreibe, habe ich gelernt, dass man anderen Menschen zwar eine Stimme geben kann, aber nie für sie sprechen darf. Konstruktivismus und so: Jeder hat seine eigene Wirklichkeit. Deswegen bleibe ich hier mit voller Absicht so subjektiv, wie es nur irgendwie geht.« (8)

Also schreibt Theresa über ihren eigenen Weg: Wie sie fünf Jahre lang ohne festen Wohnsitz als Digitalnomadin gelebt hat und dabei siebeneinhalb Mal um die Erdkugel geflogen ist. Wie sie für Frauenzeitschriften und Reiseverlage geschrieben und recherchiert hat, wie sie ein Burn-out überwindet, zu Deutschlands bekanntester Sexbloggerin wird und eine Ausbildung zur Sexualberaterin beginnt. Dafür hat sie immer wieder »Sexperimente« gestartet. Hat Workshops in Bondage, Orgasmischer Meditation, Tantra und weiblicher Ejakulation besucht, sich das Set eines feministischen Fairtrade-Pornodrehs von Erika Lust angesehen, Toys getestet, Sexpartys geschmissen und sich einen Harem auf Tinder aufgebaut. Ihre Recherchen führen sie durch halb Südostasien und gipfeln in einem Selflovejourney à la »Eat Pray Love« – für Theresa eine buddhistische Pilgerreise, Detox-Therapie und Schweigemeditations Retreat.

 

Fazit: »Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.« – Rosa Luxemburg

Nicht nur inhaltlich trifft Theresa Lachner voll ins Schwarze, auch sprachlich bringt sie einen zum Jubeln, Lachen, Kopfschütteln. Sie schreibt mit viel ironischem Witz, Scharfsinn und Selbstkritik, ehrlich, unterhaltsam, flapsig, augenzwinkernd, geistreich und aufrüttelnd – jedenfalls immer ganz Kind ihrer Zeit mit einer dicken Portion Anglizismen und popkulturellen Anspielungen, die Ästhetik der sozialen Medien verinnerlicht. Gelegentlich gibt sie sich allerdings etwas zu sehr dem Stolz über ein aufregendes Jetsetter-Leben hin.

Die Sexbloggerin bemüht sich, stets beide Medaillenseiten tu zeigen: Vorzüge und Fallen von Tinder, Selbstständigkeit und Heimatlosigkeit, Freuden und Gefahren des Reisens. Sie hinterfragt Trends wie Achtsamkeit, Selbstliebe und Bodypositivity kritisch. Betrachtet die #metoo-Bewegung, beleuchtet die Schuld-Falle für Opfer von Straftaten (Victim Blaming).

Es geht in »Lvstprinzip« um toxische Beziehungen, psychische und physische Gewalterfahrungen, Liebeskummer, Datingwahn, Verhütung und Beziehungskonzepte. Vor allem aber ist die Sexbloggerin die Stimme einer starken Frau, die gegen den systematischen Selbsthass von Frauen in einer Welt der Optimierungs- und Verwertungslogik anschreibt, über Bodyshaming, Deutungshoheiten und Machtinstrumente, denn sie hat Sex längst als Politikum erkannt – wie heißt es doch gleich? Es geht im Leben immer um Sex, außer beim Sex, da geht es um Macht.

 

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»Lvstprinzip« von Theresa Lachner umfasst 240 Seiten, erschien am 13.09.2019 bei Aufbau Blumenbar und kostet fest gebunden 20,00 €.

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