Literatur
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Katja Lewina »Sie hat Bock«!

»Überraschung! Frauen wollen auch ficken.« (35)

Katja Lewina ist Sex-Bloggerin, bisexuell und lebt in offener Ehe – vor allem aber schreibt sie sehr unterhaltsam über das Patriarchat, Sexismus und mögliche Lösungen.

Sie beschäftigt sich mit Themen wie dem weiblichen Genital, Lust und Orgasmus, Schönheitsansprüchen, Rollenzuschreibungen, Single-, Fat-, Victim- und Slut-Shaming, Rape Culture, Prostitution, Porno und Unterwerfung, dem Ideal der Monogamie oder wie Laurie Penny es nennt »Alles mit Einem für immer«, #metoo, »Ja heißt Ja« und der Deutungshoheit über die Geschlechter. Dabei beweist sie nicht nur einen wachen Blick und eine fundierte Kenntnis der feministischen Literatur, sondern trumpft vor allem mit einem sehr persönlichen, energiegeladenen, frechen Sound auf. Auf angenehme Art flechtet sie zu jedem Unterthema eine Anekdote aus ihrer Vergangenheit ein und verleiht dem essayistischen Manifest so auch eine erzählerische Qualität.

Wovon reden wir eigentlich?

Bei der Benennung fängt das Schlamassel ja schon an. Für das weibliche Genital gibt es kein Wort, mit dem wir uns wirklich wohl fühlen würden. Muschi, Pussy, Mumu, Möse? Alles Käse. Eine Scheide, die dadurch definiert ist, ein Behältnis für das Schwert zu sein? Nein, danke. Die Benennung von Einzelteilen mit dem Präfix »Scham-« macht es auch nicht gerade besser. Und dass das weibliche Geschlechtsteil in vielen Sprachen die schlimmstmögliche Beleidigung darstellt, komplettiert die Liste an Ungerechtigkeiten. Und dass das, was die meisten glauben, korrekt mit Vagina zu bezeichnen, eigentlich die Vulva ist, macht das Chaos perfekt. Es gab wohl die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte nicht so wirklich ein Bedürfnis danach, das weibliche Geschlechtsteil, und verbunden damit ihre Lust, genauer zu erforschen. Ich sage nur: Entdeckung der wahren Klitorisform 1998.

»Hallo? Das zwischen unseren Beinen ist ein eigenständiges Organ und kein Loch, das darauf wartet, durch einen Mann gefüllt zu werden! Es besteht aus einer Vagina und aus einer Vulva, und die beiden sollten ebenso wenig verwechselt werden wie Penis und Hoden. Das ist eine Frage des Respekts. Am besten wäre es natürlich, es gäbe ein Wort, mit dem man die Gesamtheit unsres Untenrums beschreiben könnte. ›Vulvina‹ wäre so eine Kreation, ein Mischwesen aus – man errät es – ›Vulva‹ und ›Vagina‹. Die Aktivistin Ella Berlin brachte es im Jahr 2012 in die Welt, doch so richtig durchsetzen konnte es sich nicht. Vielleicht, weil es schlicht zu niedlich ist für das krasse Gerät, das es bezeichnen soll.« (32f.)

 

»Riecht ihr ihn auch, den widerwärtigen Gestank der Doppelmoral?« (38)

Der Wert einer Frau hängt davon ab, wie viele Schwänze sie nicht in sich hatte. Eine gute Quote macht den Mann dagegen zum Helden. Eine Frau soll sexy sein und nicht verklemmt, aber auf keinen Fall billig oder noch schlimmer, verzweifelt und needy. Immer verfügbar aussehen, aber nicht (zu leicht) verfügbar sein. Wie genau das aufgehen soll, mit den sexuell umtriebigen Typen und den keuschen sexy Heiligen, war mir noch nie so ganz klar. Fest steht, es gibt sie, die weibliche Lust, und können wir jetzt bitte aufhören, uns zieren zu müssen, bevor wir alle kriegen, was wir wollen?

Viel wird seit #metoo über Weiblichkeit diskutiert und geschrieben, was es aber bräuchte, wäre parallel dazu auch die Neuverhandlung unseres Männlichkeitsbegriffs.

»Eine Frau ohne Mann ist wie ein Mann ohne Penis« (56)

Woher kommt die Idee der lebenslangen, monogamen Ehe? Aus wirtschaftlichen und sozialen Zwängen, um Besitz und die väterliche Linie zu regeln, so legt es Katja Lewina dar. Sehr romantisch ist das nicht gerade. Die bekennende Verfechterin offener Beziehungen ist sicher: Wenn Sex und Liebe Dinge wären, die zwischen allen passieren dürften – »denn wir wollen Sex ganz ungeachtet unseres Beziehungsstatus‘ oder unserer moralischen Ansprüche, sonst würde nicht die Hälfte aller Erwachsenen fremdgehen« (60) –, würde die Welt schon nicht im Chaos versinken. »Sie würde ganz im Gegenteil endlich zu jenem friedlichen Ort, den wir uns alle so sehr Wünschen«. (71)

»Ich glaube nicht an das Zurückhalten von Gefühlen und Bedürfnissen, und ich glaube nicht ans Schweigen. (…) Ich bin mir sicher, die Welt wäre besser dran, wenn jede*r alles über jede*n wissen dürfte. Geheimnisse bringen uns um, auf die eine oder andere Weise.« (70)

 

»›Safe, sane, consensual‹ geht anders« (90)

Frauenverachtend gehe es im Rap und im Porno zu. Kein Wunder, dass diese Sichtweise Einzug erhält in die Köpfe und Betten. »Verantwortungsvolle, einvernehmliche Sexualität ist optisch nicht in unserem Gehirn verankert.« (80), konstatiert die Bloggerin. Es brauche dringend neue Sehgewohnheiten. So wie in den alternativen Pornos der Schwedin Erika Lust zum Beispiel. Aber noch kosten die und bleiben gerade für Jugendliche im Vergleich zu dem ganzen Pop-Up-Schrott im Netz unsichtbar. Heißer Tipp der Autorin: Benutzt doch mal die eigene Fantasie. Das regt auch zur Reflexion an – was gefällt einem eigentlich?

Starke Männer, schwache Frauen

Wie tief diese Annahme in uns verankert ist und durch Sozialisation immer wieder Realität wird, macht vor allem der Arbeitsmarkt deutlich.

»Wir sind einen Scheiß von frei. Wenn wir es wären, wäre das Verhältnis zwischen arbeitenden Müttern und Vätern ausgeglichen, genau wie das zwischen Männern und Frauen in Care- und Tech-Berufen. Wir hätten genauso viele Chefinnen wie Chefs. Und, jetzt kommen wir zurück zum Kern, Devotion wäre nichts, das wir vor allem mit Frauen in Verbindung bringen.« (93)

Die sich unterwerfende Frau, Sexfantasie und tägliche Erfahrung. Tut sie es vielleicht (gern), weil sie Jahrtausende lang tatsächlich unterworfen wurde?

»›Hast du mal darüber nachgedacht, warum es uns Frauen so viel leichter fällt, uns dominieren zu lassen, als selbst die Oberhand zu behalten?‹ ›Sozialisierung.‹ (…) Jede beliebige Sexszene in jeder beliebigen Hollywood-Schnulze ist schon Beispiel genug.« (91)

 

»Komplimente kommen aus der Hölle.« (115)

Oh, wer mag sie nicht, die Bestätigung von anderen? Schön will man gefunden werden und begehrenswert, und zwar von der ganzen Welt, vollkommen egal, ob man diejenigen Kommentator*innen auch schön und begehrenswert findet. Es wertet eine Frau auf, Komplimente zu bekommen. Und schließlich sind wir es gewohnt, dass unser Aussehen ständig und in egal welchem Kontext bewertet und kommentiert wird. Frauenkörper werden von Männern objektifiziert, solange es das Patriarchat gibt.

»In einer Welt, in der Frauen nicht viel zu melden haben, ist ihr Körper ihre Waffe und ihre Fickbarkeit der Fahrstuhl nach oben.« (116)

Doch dabei sind es natürlich die Männer, die bestimmen, was denn als schön gelten darf. Sie bewerten, weil es sie sich mächtig fühlen lässt. Denn genau das ist ein Kompliment, auch wenn es noch so nett gemeint ist: die hübschere Seite der Bewertungsmedaille. Ein sich über die andere erheben. Wollen wir nun auch noch das Komplimente-Machen verbieten? Jein. Denn: »Sich mitteilen geht auch ohne Wertung. Wirklich. Indem man nämlich bei seinem Erleben bleibt. (…) ›Dein Hintern macht mich total an‹ statt ›Du hast den perfekten Arsch‹«.

 

Untenrum unsauber

Warum hat das weibliche Geschlecht eigentlich einen so schlechten Ruf? Stinkt nach Fisch und alles, was da rauskommt, ist mit Scham behaftet und muss versteckt werden. Menstruationsblut, Ausfluss und Ejakulationsflüssigkeit – ih, bah. Ganz ehrlich, wer Sex will, muss auch mit Körperflüssigkeiten klarkommen. Und dass aus uns Frauen Blut und vaginaler Ausfluss rauskommt und das ganz und gar nichts mit Hygiene zu tun hat, sollte mittlerweile bei den Herren der Schöpfung angekommen sein. Falls nicht, umso schlimmer. Dass da zwischen den Beinen der Frau nichts ist, wofür man sich schämen müsste – seien es nun Haare, lange innere Schamlippen, Gerüche oder Flüssigkeiten – wollen ja nicht mal die Frauen selbst glauben, die das mit allerlei Kosmetikprodukten in den Griff zu bekommen versuchen.

»›Katja, ich verstehe dich nicht. Ich meine, du könntest echt eine 10/10 sein, wenn du dich rasieren würdest. Warum machst du das nicht einfach?‹ – ›Kein Bock drauf‹, entgegnete ich. ›Weil ich mich mit Haaren außerordentlich nett finde (eigentlich sogar netter als ohne). Weil ich meine wertvolle Zeit nicht mit Rasieren verplempern will. Und weil – vielleicht das wichtigste Argument – für irgendwelche Typen eine 10/10 zu sein nichts ist, worauf ich Wert legen würde.‹ ›Klingt schlüssig‹, fand dann auch mein Bruder.« (195)

»Sie hat Bock« ist mutig und intim. Ein ehrlicher Blick auf Sex, Lust und systematische Unterdrückung. Das Katja Lewina das Ganze aber auf sehr witzige und unterhaltsame Weise erzählt und sich nicht mit Meckern zufriedengibt, sondern viele Anstöße für ein gleichberechtigteres Zusammenleben der Geschlechter liefert, macht aus dieser Lektüre eine wertvolle Unternehmung.

 

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»Sie hat Bock« von Katja Lewina umfasst 224 Seiten, erschien am 18.02.2020 bei DuMont und kostet fest gebunden 20,00 €.

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