Literatur
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Nina Kunz denkt »Ich denk, ich denk zu viel«

Habt ihr hier auch gleich den Song von Christian French im Ohr? So oder so spricht dieser Buchtitel wohl vielen aus der Seele.

Alles nur in deinem Kopf

»Mein Gehirn fühlt sich immer so an, als wären zehn Tabs gleichzeitig offen.« (57)

Nina Kunz schreibt in »Ich denk, ich denk zu viel« aus der Perspektive einer mitteilungsbedürftigen, hypochondrischen Nerdin, dessen beste Freundin ihre Oma ist und mit der man sich augenblicklich gemein macht. Angenehm ist dabei, dass die Zürcherin nicht wie so viele vor ihr postwendend die nihilistische Generation, den neuen Zeitgeist der ausgebrannten Postmoderne ausruft. In kurzen, sehr persönlichen Anekdoten und Überlegungen interessiert sie sich neben gesellschaftlichen Phänomenen auch für Sprachfeinheiten.

 

Weltschmerz: Die drei großen S

»Alles begann damit, dass ich anfing, über meine Alltagsängste nachzudenken. (…) Warum da diese Enge in meiner Brust ist und der Stress-Tinnitus in den Ohren pfeift, obwohl ich doch all diese Privilegien hab. Ich schrieb über die Angst, das Leben online zu vergeuden, über die absurde Überidentifizierung mit meinem Job, Identitätsfragen, die Suche nach meinem Vater, den ich nicht kenne, den Weltschmerz, Kylie Jenner und das verfluchte Patriarchat.« (9)

Die Essaysammlung bietet unter den drei Themenkomplexen Sinnkrisen, Selbstzweifel, Sehnsucht eine Mischung aus Tagebuchjournal und Theoriehäppchen an und widmet sich Themen wie Leistungsdruck, Workism, Mental Health, der Lage des Planeten im digitalen Zeitalter, der Pandemie, Cat-Person-Situationen, dem destruktiven Potenzial der Bravo Girl, Bindungs- und Versagensängsten, Zukunftsangst und dem »Wursteln«. Dabei widmet Nina Kunz jedes Unterkapitel einer:m Theoretiker:in oder Literat:in: von Sartre und Deleuze, über Laurie Penny bis zu Marx und Falco. Herrlich berührungsangstlos widmet sie sich großen, komplizierten Denker:innen genauso offen wie Popkulturschaffenden.

»Grübeln, so dachte ich, löst leider nicht nur Probleme, sondern schafft auch welche.« (15)

Kann man zu viel denken? Ja, schon irgendwie. Wenn einen Gedankenkarusselle lähmen, geschürte Ängste wahnwitzig werden. Aber unter den zu vielen Gedanken sind eben auch so herrlich sympathische wie »Warum platzt mein Kopf nicht irgendwann einfach, wenn er mit zu viel Kram vollgestopft ist?«

 

»Wäre Arrival Fallacy ein Verbrechen, wäre ich eine Serientäterin.« (68)

Sympathisch, witzig und klug schreibt Nina Kunz sich all das von der Seele, worüber wir alle hin und wieder grübeln. Abwechslungsreich, kurzweilig liest sich diese Essaysammlung, auch wenn ihr der Ton manchmal etwas belehrend oder referierend gerät und die Themen und Erkenntnisse in diesem Büchlein nicht so richtig neu sind, macht die Lektüre trotzdem einfach sehr viel Spaß.

»ich finde nicht prinzipiell, dass früher alles besser war, denn früher war ja auch Tschernobyl und Schulterpolster (…).« (56)

Du musst dich dem »ekligen Schwindelgefühl der Angst« stellen! (37)

Dabei geht es aber nicht nur um die Ängste der Autorin, die irgendwie symptomatisch für ihre Generation stehen, sondern auch um kollektive Sehnsüchte und Lebensentwürfe dieser Zeit. Es ergeben sich herrlich bodenständige Fragen, die sehr existenziell erscheinen: Warum verbringen wir so viel Zeit im Internet? Woher kommt die ständige Angst, nicht happy genug zu sein? Warum können wir uns nicht richtig freuen, wenn wir ein Ziel erreicht haben, auf das wir lange hingearbeitet haben? Und warum trifft man in Bars immer nur Typen, die nicht bereit für was Festes sind? Nina Kunz schreibt über die Unwägbarkeiten des Alltags, über Geduld und Scheitern, ihre Verehrung vom Herbst und Butterbroten, über das Ende einer großen Liebe, einen Tattoo-Unfall und sinnt ihrer Studienzeit nach. »Ich denk, ich denk zu viel« ist ein feministisches Sachbuch im Kolumnenstil, das einen Nerv trifft.

 

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»Ich denk, ich denk zu viel« von Nina Kunz umfasst 192 Seiten, erschien am 16. März 2021 bei Kein & Aber und kostet als Hardcover 20,00 €.

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