Literatur
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»Olga« von Bernhard Schlink

In seinem neusten Roman erzählt Bernhard Schlink die Lebensgeschichte von Olga Rinke – einer Frau, die im Leben kämpfen muss. Sie wächst um 1850 in ärmlichen Verhältnissen auf, muss sich ihre Rechte als Frau und ihren Traum als Lehrerin zu arbeiten hart erkämpfen und doch ein Leben lang die Beziehung zu ihrem geliebten Herbert verheimlichen, da dieser als Erbe eines reichen Gutsherrn sich nicht mit einem Mädchen aus dem Dorf abgeben soll. Ihr Leben ist gezeichnet von etlichen Schicksalsschlägen, Verlusten und Entbehrungen. Trotz alledem gibt sie nicht auf, hofft, liebt, leidet und führt doch immer das selbstbestimmte, unabhängige und freie Leben einer starken Frau.

Der Roman verhandelt große deutsche Geschehnisse des 20. Jahrhunderts. Neben Olgas Schicksal, dass eng mit Herberts verwoben ist, wird von der Bildung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika berichtet, in der Herbert als Soldat Teil war, vom ersten und zweiten Weltkrieg, von Kamtschatka u.a. fernen Ländern in die Herbert Reisen unternimmt, von seiner Expedition in die Arktis, vom Leben nach dem 2. Weltkrieg, von Studentenunruhen in den 50ern… und immer mittendrin – Olga. Dieses Werk ist vollgestopft mit Geschichte, fast schon überbordet. Und es scheint dabei keinen Fokus zu geben oder zumindest schwankt er immer wieder zwischen persönlichem Schicksal und den großen Geschehen in der Welt.

»Eine Frau, die kämpf und sich findet, ein Mann, der träumt und sich verliert.« Diogenes

Die Lektüre hat mich leider nicht wirklich mitgerissen, sondern gelangweilt. Ich habe nur weitergelesen, weil ich dachte, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Da muss doch noch etwas kommen. Und es kam tatsächlich! Auf den letzten 100 Seiten verbesserte sich das Niveau und vor allem der Sprachstil um ein Vielfaches. Das hat mich wirklich sehr glücklich gemacht, doch zugleich auch sehr enttäuscht. Bernhard Schlink hat es immer noch drauf – er ist der Meister der Gefühle, der, der es vermag den Personen seines Romans Leben einzuhauchen, sodass der Leser das Gefühl bekommt, die Personen schon lange zu kennen. Sie werden zu guten Freunden und man fühlt mit ihnen, spürt die gefühlvollen, zärtlichen Verbindungen zwischen den Menschen, von denen er erzählt. Ich bin wirklich ein großer Fan von Bernhard Schlink und meine Enttäuschung beruht darauf, dass er sein Talent für diese unglaublich tolle und einzigartige Erzählweise, wie er es in »Sommerlügen«, »Liebesfluchten« oder auch »Der Vorleser« gezeigt hat, in diesem 300 Seiten Werk erst so spät zeigt.

Der Erzählstil in den ersten zwei Dritteln des Buches ist distanziert, leiert Lebensdaten und Ereignisse wie aneinandergereihte Fakten herunter und das in einem wirklich immensen Tempo. Man erfährt so sehr viel von den beschriebenen Personen, jedoch ohne ihnen nahe zu kommen. So schade!
Die Romanfiguren bleiben dadurch leider viel zu skizzenhaft und unnahbar. Ich freue mich nicht mit Olga, als sie die Prüfung für die höhere Mädchenschule besteht, für die sie sich ganz allein Religion, Schönschreiben, Rechnen, Erdkunde etc. beigebracht hat… Ich leide nicht mit Olga und Herbert, die ihre Liebe vor der Gesellschaft verstecken müssen, weil sie nicht für angemessen ersehen wird. Ich fühle nicht mit Olga, als sie sehnsüchtig erwartet, dass Herbert von seiner Arktis-Expedition zurückkehrt.
Die kühle Distanz zu den Figuren und deren Lebensgeschichte, beruht auf der viel zu großen Hast, mit der die Geschichte erzählt wird. Ich habe mich gefragt, warum der Autor die doch sehr interessante Geschichte von Olga, die in einer spannenden Zeit aufwuchs, zwei Weltkriege miterlebte und deren Schicksal prädestiniert dafür ist, den Leser mitzureißen, in so einem Affenzahn heruntererzählt wird. Man möchte meinen, der Autor war in Eile, wollte diese Geschichte schnell zu Papier und einem Ende bringen, um sich dann wichtigeren Dingen widmen zu können.

Unterteilt ist der Roman in drei Teile. Die ersten zwei Drittel fokussieren sich auf die Schilderung der Beziehung von Olga und Herbert. Der zweite Teil endet damit, dass Ferdinand, der Sohn einer befreundeten Familie von Olga, bei der sie auch als Näherin gearbeitet hat, Recherchen zu Olgas Leben anstellt. Was den ersten beiden Teilen an sprachlicher Tiefe und Einfühlsamkeit fehlt, kann der dritte Teil wieder ausgleichen. Wir lesen hier die Briefe Olgas an Herbert, voller Sehnsucht, Schuldzuweisungen, Angst, Wut, Hass und doch ungebrochener Liebe, die sie Herbert gegenüber verspürt, während er einen Weg durch die Nordpassage der Arktis sucht. Hier zeigt Bernhard Schlink endlich, dass er sein Handwerk doch immer noch beherrscht.

»Olga« ist kein Buch, das durchweg negativ zu bewerten ist. Fans von Bernhard Schlink, die schon viel von ihm gelesen haben, dürften hier jedoch enttäuscht sein.

 

»Olga« von Bernhard Schlink. Roman. 311 Seiten. 24€. Erschienen im Diogenes Verlag am 12.01.2018.

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