Literatur
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Ist das Kunst oder kann das weg?! – »Wiener Straße« von Sven Regener

In »Wiener Straße« belebt der Musikerautor Sven Regener zum fünften Mal den literarischen Kosmos rund um »Herr Lehmann«, sein Erfolgsdebut aus dem Jahr 2001. Wie schon bei den Vorgängerromanen wird wieder ein verspielter, dialoglastiger Berlin-Roman geliefert. Dieser schaffte es sogar auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017!

 

»Wie bin ich hier nur reingeraten?!«

Das fragt sich Erwin, Besitzer der Kneipe »Café Einfall«, welche das Herz des fast schon kammerspielartig angelegten Romans bildet. Regener bevölkert seine im West-Berlin des Jahres 1980 angesiedelte Romanwelt ausschließlich mit Spinnern und Freaks, mit sympathischen Losern, die gleichzeitig Künstler und Gelegenheitskellner sind. Neben artistischer Spontanperformance, Vernissage und ZDF-Kulturbeitragsdreh wollen sie nämlich alle unbedingt bei Erwin an der Bar arbeiten, welcher mittlerweile dabei ist, eine eigene Familie zu gründen und sesshaft zu werden. Und die neue Wohnung renovieren, auch wenn niemand recht Ahnung von so etwas hat. Oder Geld dafür. Und dann gibt es da noch die Konkurrenz durch die »ArschArt«-Künstlergruppe, die den alten Intimfriseurladen gleich neben dem »Einfall« kauft und sich nur zu gerne etwaigen Fäkaltermini in Kunst und Freizeit bedient. Zwei Dinge, die an sich kaum zu trennen sind, schließlich ist alles Inszenierung, alles Schein, alles Kunst. Oder etwa nicht?

Der Ärger mit Kassiererinnen, Verwandtschaft und Polizei ist nicht zu knapp, aber diverse Streitereien später, dreht sich dann alles um die große Kunstausstellung »Die Haut der Stadt«…

 

Große Klappe, nichts dahinter

Sonderlich viel Handlung, kohärente und kausal aufeinander aufbauende Narration, bietet der Roman nicht. Er stellt sich eher als episodische Reihung von Kleinstplots dar, die locker aneinander gereiht werden und eher für sich stehen. Ein reger Wechsel der Figurenperspektiven trägt ein weiteres dazu bei, dass Sven Regeners neuer Roman eher flüchtig und kurzweilig daherkommt, leicht konsumierbare Häppchen eben. Stark wird mit dem Wiederholungs- und Variationsprinzip gespielt, Running Gags, ironische Meterkommentare und Anspielungen auf frühere Teile der Lehmann-Reihe inbegriffen.

Sehr stark und plakativ wird immer wieder der schnoddrige Berliner Dialekt thematisiert. Überhaupt wird deutlich mehr geredet als gehandelt. Ein Loriot’esker Dialog folgt dem nächsten, bis einem die ganzen Nonsens-Diskussionen, das ständige aneinander vorbei-Reden und auf Details-Herumreiten ziemlich auf die Nerven geht. Regener reizt die Grenze zum Grotesken stark aus. Das mag in meinen Augen nicht so recht funktionieren, weil nicht viel dahinter steht. Immer wieder läuft nach demselben Schema ab, was sehr krampfhaft versucht, komisch zu sein: naive Losertypen, die auf dem Schlauch stehen, Idioten, die aber doch Künstler sein wollen und mit ihrem Germanistik-Fachwissen angeben. Ein Clash der Kontraste, der leider zum flachen Gag verkommt.

Kunst oder Unfall?

Man könnte meinen, dass es hinter den ganzen karikaturhaften Schablonen-Figuren und ihrem ständigen Gezänk und Gezeter eigentlich um eine Verhandlung von Kunst geht. Was ist Kunst? Kontextsache. So ziemlich alles, was man als solche betrachten will. Im Falle »Wiener Straße« eben auch mal ein verbrannter Kuchen, ein gefällter Baum oder ein Bier in einer Kiste. Schön und gut, aber diese »Ist das Kunst oder Abfall?«-Masche ist bereits hinlänglich bekannt und verkommt in Regeners Roman zu Klamauk.

Authentisches Zeitdokument?

Immer wieder rühmen Rezensenten Regeners neuen Roman als eine Art Zeitdokument. Hier werde deutsche Geschichte zwischen die Buchdeckel gebannt, ein ebenso authentisches wie sympathisches Stück Erinnerungskultur. Schon ein flüchtiger Blick genügt allerdings, um zu widersprechen. Besonders viel erfährt der Leser nicht über die Lebensumstände und politischen Hintergründe der Zeit und wenn, dann doch nur sehr einseitig, holzschnittartig. Und hier ist man bei einem Knackpunkt im Verständnis des Romans angelangt! Das Figurenarsenal in »Wiener Straße« scheint mir nämlich aus Typenfiguren zu bestehen, die nicht wirklich authentisch und/oder repräsentativ für etwas stehen können, da sie scheinbar stark verfremdet sind. Dieser Roman wirkt doch eher wie eine sehr künstliche Überzeichnung von gewissen historischen Verhältnissen, scheint eher Karikatur oder Parodie zu sein. Ganz klar fiktional angelegt auf jeden Fall und nicht, wie dieser Roman so häufig verstanden wird, ein authentisches, quasi-dokumentarisches Zeitportrait. Wenn überhaupt, dann werden hier mikroskopische Charakter- und Milieustudien in überspitzter Form und mit nicht wenig Augenzwinkern präsentiert. Es scheint mir, als würden Autor und Rezensenten der Babyboomer-Generation einem idealisierten Lebens- und Zeitgefül nachtrauern und sich mit einer nostalgischen »früher war alles besser«-Attitüde die Künstler und Gammler des Alt-Kreuzbergs zurückwünschen.

 

Fazit

»Wiener Straße« – immerhin in einer sehr schönen, bibliophilen Ausgabe – entspricht eher einem flüchtigen sarkastischen Blick auf die Künstler des Alt-Berlin am Rande der Mauer als einem authentischen, ausdifferenzierten Kommentar auf Zeit, Umstände und Kunst. Zwar schafft es Regener nicht, mich mit seinen Karikaturen zum Lachen zu bringen, aber immerhin ist seine Kunsterörterung erfrischend unprätentiös und zieht bornierten Kunstverstehern den Boden unter den Füßen weg. Und ein gelegentliches Schmunzeln über die Chaoten rund um Herr Lehmann ist dann schon drin.

Leider funktioniert der Roman in meinen Augen im Ganzen nicht besonders gut und ist auch niemals Literaturpreis würdig. Zum einen, weil keine Narration den Roman trägt. Es handelt sich eher um Detailkaskaden; die Handlung gestaltet sich schleppend bis wirr, wobei die Zeit beinahe stillzustehen scheint. Die Erzählung kreiselt um zu wenige relevante Themen, die auch nicht differenziert verhandelt werden. Ansonsten wird man mit einem ganzen Haufen Belanglosigkeiten gelangweilt und es bietet sich kein Voranschreiten, sondern eher ein enervierendes auf der Stelle-Treten durch ständige Wiederholungen der immer gleichen Gags in der außerdem wenig kohärenten Handlung. Zum anderen, weil die präsentierten Schablonen-Figuren nicht genug für den Roman zu bieten haben, sie bleiben unglaubhaft und leblos. Darüber hinaus erscheint mir die so viel gerühmte slapstickartige Situations- und Dialogkomik Regeners zu durchschaubar und zu gewollt. Die Komik kommt so überzogen, plakativ, repetitiv und sicher nicht innovativ daher, dass ich eher von wenig gelungenem Klamauk oder sogar Brachialhumor reden würde, der noch dazu immer wieder gleich vorgeht. Zu guter Letzt muss hier noch erwähnt sein, dass es einfach schon zu viele Berlin-Hymnen und verlorene Anti-Helden-Geschichten gibt, die deutlich besser gemacht sind und mehr hergeben.

Zu diesen Argumenten kommt noch erschwerend hinzu, dass Regener keine besonders sympathische Rolle einnimmt, wenn er dem Fortsetzungs- und Reihen-Wahn dieser Zeit ein weiteres Beispiel hinzufügt. Ein Erfolgsdebut, das zur Trilogie werden sollte und nun im fünften Band nur noch blass und eine Enttäuschung für die Lehmann-Fans ist, aber vermutlich noch immer nicht sein (trauriges) Ende gefunden hat…

 

Sven Regeners Roman »Wiener Straße« erschien am 07.09.2017 bei Galiani Berlin im Verlag Kiepenheuer & Witsch, umfasst 304 Seiten und kostet als Hardcover 22,00 Euro.

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