Literatur
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Andrew Ridker »Die Altruisten«

Der Tod von Francine Alter nach einer Brustkrebserkrankung bringt das Leben ihrer Familie ziemlich ins Wanken. Immerhin war sie es gewesen, die die exzentrischen Persönlichkeiten zusammengehalten und den Hausfrieden gewahrt hatte. Tochter Maggie verrennt sich zusehends in ihre idealistischen Vorsätze, bricht ihr Studium ab, arbeitet gemeinnützig und unterbezahlt und versagt sich übermäßigen Konsum, was sie bis in eine Essstörung gepaart mit ironischerweise kleptomanischen Zügen treibt. Ihr älterer Bruder Ethan kündigt kurzerhand seinen Job als Unternehmensberater und badet in seiner aufkeimenden Depression, nachdem er sein gesamtes Geld verprasst und sich den Alkohol zum Vertrauten gemacht hat.

»Francine hatte selbstlos ihr berufliches Weiterkommen für die Erhaltung ihrer Familie geopfert – für die sie als Vermittlerin, Schlichterin und Friedenswahrerin fungiert hatte. Sie war für Maggie zugleich Vorbild und abschreckendes Beispiel. Eine Fallstudie darüber, was von Frauen erwartet wurde und was sie aufgeben mussten, um dem gerecht zu werden.« (72)

»Zwischen Selbstverachtung und Selbstsucht war es nur ein schmaler Grat.« (51)

Doch besonders hart trifft es Francines Ehemann Arthur. Ein Versager wie er im Buche steht. Jahr für Jahr wird ihm eine Festanstellung als Dozent der Ingenieurswissenschaft verweigert. Seine in Simbabwe kolossal gescheiterten Ideale und Hoffnungen haben ihn in einen eigenbrötlerischen, knauserigen, verbitterten Lebensstil getrieben, die Verbindung zu seinen Kindern und jegliches Interesse an Menschen, die nicht er selbst sind, hat er schon vor langer Zeit verloren. Rührselig und selbstmitleidig blättert er regelmäßig durch die einzige Publikation, die er je zustande gebracht hat, und schliddert in eine Affäre, die er nur aufrechterhält, weil er zu feige ist, etwas zu ändern, als seine Ehefrau ihrem Ende nahekommt ist es die pure Angst vor der Einsamkeit.

»Ein Mann in einer Krise ist gezwungen zu handeln. « (352)

Alle drei haben sich mittlerweile in ihren neuen, versehrten Leben eingerichtet, doch Arthur steckt in der Klemme: Er kann die Hypothek auf das Familieneigentumshaus schon lange nicht mehr begleichen und nun droht die Zwangsräumung. Der einzige Ausweg, den er sieht: seine Kinder. Maggie und Ethan hatten vor zwei Jahren das gesamte Erbe, ein nicht unerheblicher Betrag, den Francine ohne Arthurs Wissen angelegt hatte, erhalten, während Arthur in letzter Minute wegen seines Ehebruchs vom Erbe ausgeschlossen wurde. Eine Strafe, die ihm nun teuer zu stehen kommt. Doch ein wahnwitziger Plan nimmt bereits Gestalt an: seine Kinder nach Hause einladen, sie mit Hilfe von Nostalgie und Mitleid einwickeln und zur Rettung des Kindheitshauses anstacheln. Dass dann alles anders als gedacht kommen und sein Plan so grandios scheitern würde, hätte er allerdings nicht gedacht…

»Es gab unzählige Gründe, ihren Vater nicht zu mögen – er geizte mit seinen Gefühlen; er hatte ihre Mutter betrogen; sein Zynismus hatte ihr Leben besudelt wie ein Tropfen Pisse das Wasser in einem Swimmingpool –, doch der schwerwiegendste war, dass es ihm trotz seines geringen elterlichen Engagements gelungen war, ihr Leben zu prägen. Wenn sie rebellierte, dann gegen ihn. Sie war das Gegenteil von ihm. Er war die Gestalt, um die sie sich formte.« (209)

Gemeinnütziger Eigensinn – so zerstörerisch und egoistisch kann Gut gemeint sein
Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, dass alle drei Alters auf ihre Weise vollkommen verblendet und in ihrem egoistischen Selbstmitleid gefangen sind, alle drei allerdings im Glauben, Gutes zu tun. Im überheblichen Gefühl, sich aufzuopfern, stoßen sie ihre Mitmenschen reihenweise vor den Kopf und sind auch dann noch nicht in der Lage sich ehrlich zu reflektieren, wenn ihnen metaphorische und echte Türen vor der Nase zugeschlagen werden.

»Schuldgefühle metastasieren. Verwandeln sich. Wandern. « (242)

Was kostet es ein guter Mensch zu sein?

Der gefeierte Nachwuchsautor Andrew Ridker gibt seiner Geschichte einen humoristischen Grundton, und doch klingt in beinahe jeder Szene die Tragik des Lebens, die Ambivalenz von Moral und Altruismus an. Er demaskiert drei zutiefst enttäuschte, zynische, von der Banalität ihrer Trauer zersetzte Figuren.

Erzählt wird von einer jüdischen Familie aus dem Mittelwesten, von Fluch und Kraft der Familienbande und dem Generationenkonflikt der Millennials mit ihren Eltern. So entwickelt Ridker Stück für Stück seine Milieustudien, streut immer wieder kluge Beobachtungen und spitze Bemerkungen zu Politik, Klassenzugehörigkeit, Privilegien und White Saviorism – es entpuppt sich eine widersprüchliche Welt, in der sich der Humanismus im Kapitalismus behaupten muss.

Großartig nimmt der Roman dann gegen Ende an Fahrt auf – die letzten 50 Seiten sind ein großer Spaß mit Yasmina Reza-haften Eskalationsstufen! –, vorher weist Ridkers Debüt, das sich teilweise eines gehobenen, bildungssprachlichen Vokabulars bedient, allerdings einige Längen auf. Nichtsdestotrotz lohnt sich diese Geschichte –, in der wirklich niemand Altruist*in ist! – für seine interessanten gesellschaftsdynamischen Beobachtungen.

 

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»Die Altruisten« von Andrew Ridker, übersetzt aus dem amerikanischen Englischen von Thomas Gunkel, umfasst 400 Seiten, erschien am 23. September 2019 bei Penguin Random House und kostet als Hardcover 22,00 €.

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