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Lasst euch verzaubern: Jan Schomburg »Das Licht und die Geräusche«

Wie stellt man es an, das richtige Leben? Und was spricht gegen das Sterben?

Der erste Roman des Filmregisseurs und Drehbuchautors Jan Schomburg (»Über uns das All«, »Vergiss mein Ich«, »Vor der Morgenröte«) ist ein zarter und fragender Blick auf die schwierigen Jahre der Pubertät.

»›Und es ist doch komplett albern, dass man so an diesen paar lächerlichen Jahren hängt. Albern! Als würde noch irgendwas Weltbewegendes passieren, bis man dann irgendwann stirbt. Sag doch mal, ganz ehrlich jetzt: Du kannst doch auch nichts sagen, was jetzt wirklich dagegen spricht, außer dass man vielleicht Angst hat davor oder man sich eigentlich ganz wohl fühlt, wie man so lebt.‹« (S. 41)

»Das Licht und die Geräusche« ist Johannas Antwort auf die Frage, was eigentlich für das Leben spricht. Johanna ist in ihren allerbesten Freund Boris verliebt. Das glaubt sie zumindest. Dass es dennoch zu keinem Kuss kommt, – und das, obwohl sie doch nur drei Zentimeter von einem entfernt war – liegt wohl an Ana-Clara, Boris‘ Freundin in Portugal. Boris ist neu an Johannas Schule und beeindruckt Schüler wie Lehrer gleichermaßen durch seine Selbstsicherheit, Intelligenz und Natürlichkeit. Mit Johanna teilt er seine Zeit und tut doch alles, was ein Pärchen so tut: Tanzengehen, Nacktbaden, Fahrradtouren und vor allem über die Fragen sprechen, mit denen Jugendliche ringen.

»Wenn ich Ana-Clara lieben kann, wenn ich etwas Liebenswertes an ihr entdecken kann, dann kann ich Boris weiter lieben.« (S. 16)

Wer sind wir? Was wollen wir? Und was soll das überhaupt, leben?

Nach einer denkwürdigen Nacht voller Grenzerfahrungen, Schönheit, Ãœbermut und Intimität, voller Lebendigkeit und Lebensmüdigeit ist Boris plötzlich verschwunden. Doch die Briefe, die er an seine zwei Freundinnen geschickt hat, lassen nur den einen Schluss zu: dass Boris nach Island gefahren ist, um seinem kurzen Leben ein Ende zu setzen. Er sieht, philosophisch betrachtet, einfach keine guten Gründe, am Leben bleiben zu wollen. Vor Schock in einer Art Betäubung gefangen, macht Boris‘ Familie sich mit Ana-Clara und Johanna zusammen auf nach Reykjavík, um den Jungen zu finden und möglicherweise das Schlimmste noch abzuwenden. Während dieser verzweifelten Suche kommen sich die beiden Mädchen, die bis vor kurzem noch Konkurrentinnen waren, unerwartet näher…

»Während wir so gehen, Boris und Ana-Clara Hand in Hand und ich daneben, und die Vögel so irre laut sind und einige Wolken am Himmel schon so rosa leuchten, spüre ich plötzlich, wie Ana-Clara meine Hand nimmt. Sie guckt mich dabei nicht an, und warum sie das jetzt macht, verstehe ich wirklich überhaupt nicht mehr. / Aber dann denke ich, dass man vielleicht auch nicht immer alles verstehen muss.« (S. 29)

Alle drei Teenager stellen sich auf ihre Weise den Fragen und Herausforderungen des Pubertätsalters.

»Das Licht und die Geräusche« ist eine kluge, vorsichtige und hellhörige Beobachtung dreier filigran gezeichneter Figuren, die versuchen, sich in der Welt zurechtzufinden. Besonders die Protagonistin Johanna zieht den Leser in ihren Bann. Sie ist eine ungewöhnlich eigenwillige und kluge Figur, die sich und ihre Umgebung bis ins Letzte reflektiert und hinterfragt und dabei erstaunlich ehrlich und herzerwärmend unkonventionell ist. Sie ist eine empathische, zartfühlende Heldin, die manchmal, gefangen in ihren Denkkaskaden, aus dem Rhythmus kommt und das Absurde streift: liebenswürdig seltsam in ihrem unkonventionellem Denken.

»Irgendwann später sagt Boris mal zu mir, dass ich manchmal echt seltsam sei. / ›Du bist so jemand‹, sagt er, ›die sich das so anguckt, wie alle im ersten Weltkrieg begeistert gegen Frankreich in den Krieg ziehen und so rumgrölen und davon faseln, dass sie Weihnachten wieder zu Hause sind und die ganze „Jeder Stoß ein Franzos“-Scheiße, und du guckst dir das so an, und dann sagst du plötzlich so was wie: „Aber die Franzosen machen doch sehr guten Käse.“‹« (S. 69)

Jan Schomburg schafft es in diesem kurzweiligen Buch, uns seine Helden ganz nahe zu bringen und gleichzeitig unsere eigene Jugend neu zu erleben. Johanna und Boris sind authentische und behutsam angelegte Figuren, die in poetisch anmutenden Szenen, die besonders aus allzu alltäglichen und unwichtig erscheinenden Situationen und Beobachtungen entspringen, unsere Herzen berühren. Die Zeit der Pubertät erscheint hier als Phase der unerwiderten Liebe und Verunsicherung, wobei gerade diese Diffusität einen spezifischen Blick auf die Welt ermöglicht, einen unkonventionellen, in der Wertung freieren, wohlmöglich wahreren Blick.

Ein Loblied auf das Leben und die Jugend, auch wenn sie uns manchmal noch so schwer erträglich vorkommen.

Der Roman findet seine ganz eigene Sprache und überzeugt, aufgelockert durch seine sprunghafte Erzählweise, von Anfang an. Allerdings muss leider angemerkt werden, dass der Roman nach etwa vier Fünfteln seinen Pik erreicht und überschreitet. Auf den Schock des Verlusts reagieren alle Figuren sehr unterschiedlich und potenzieren ihre angelegten Eigenheiten. Doch die Annäherung von Ana-Clara und Johanna, die wohl aus einer Überforderung erwächst, wird allzu schnell erotisch und enttäuscht den Leser durch seine plumpe wie radikale Erscheinung. Die Vereinigung der beiden ist nicht nur überraschend, sondern scheint sich geradezu gegen die Anlage der Figuren zu sträuben und wirkt wie der verzweifelte Versuch, eine typische Ingredienz des Adoleszenzromans in letzter Minute noch mit Gewalt einzuwerfen. Verwirrte Sexualität, ein lesbischer Ausflug und das Ganze mit dem Partner der unerfüllten Liebe, der Rivalin, während befürchtet werden muss, dass die große Liebe sich in der Nähe die Pulsadern geöffnet hat – das passt hinten und vorne nicht!

Das Alles findet dann ein schnelles, leises Ende, indem in Erfahrung gebracht wird, dass Boris‘ versuchter Suizid auf etwas ulkige Weise fehlgeschlagen und er in aller Stille in sein Leben und nach Hause zurückgekehrt ist. Damit scheinen auch die Gefühlsverwirrungen der Mädchen zu enden.

 

Das Fazit

»Das Licht und die Geräusche« ist ein berührender Coming-of-Age-Roman über Freundschaft und Liebe, die Suche nach dem eigenen Platz, dem richtigen Leben und den Umgang mit Verlusten. Jan Schomburg gelingt ein einfühlsames Romandebut in authentischer Sprache, mit Figuren, die einem rasend schnell ans Herz wachsen und einer episodenhaft erzählten Handlung, die überrascht und ihresgleichen sucht. Da lässt sich vieles verzeihen, auch eine späte Handlungsepisode, die schlecht ins Romangefüge zu passen scheint. Und am Ende geben wir seiner unkonventionellen Heldin – die Königin der Lichter und Geräusche – Recht, wenn sie feststellt, dass man im Leben vielleicht nicht immer alles verstehen muss.

»Das Licht und die Geräusche« von Jan Schomburg erscheint als gebundene Ausgabe auf 256 Seiten bei dtv und kostet 20,00 €.

Die Umsetzung des Romans als Hörbuch (ungekürzte Lesung, 5 CDs, ca. 5 h 42 min) erschien bei Der Audio Verlag. Die Adaption ist mit der Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader perfekt besetzt und lässt dieses literarische Glanzstück im Klang lebendig werden.

 

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