Literatur
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Steffen Schroeder »Mein Sommer mit Anja«

Eine herrliche, intensive, berührende Geschichte eines Sommers in den 80ern und einer besonderen ersten Liebe – Coming-of-Age vom Feinsten!

Die Könige des Freibads

Konni heißt eigentlich Konrad. Er ist vierzehn, lebt mit seiner Familie in München und ist der einzige Freund von Holger, der bei seiner Geburt mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurde und deshalb eine leichte körperliche wie geistige Beeinträchtigung hat. Die anderen haben wahlweise Mitleid, Berührungsängste oder piesacken Holger. Dabei übersehen sie, dass Holger zwar eingeschränkt, aber nichts desto trotz die pure Lebensfreude und Ehrlichkeit ist und außerdem ein richtig guter Freund.

Jetzt sind Sommerferien und die beiden verbringen ihre Tage im Freibad am Eisbach. Fürs Liederträllern als »Rentner-Jukebox« gibt es Pfandflaschen, die augenblicklich in Dolomiti-Eis umgewandelt werden.

»Die Leute hatten eine gewisse Vorstellung von einem geistig Behinderten. Und Holger bot den Leuten bereitwillig genau das, was sie erwarteten. Er mochte vielleicht behindert sein, aber blöd war er nicht. Wenn wir über die Liegewiese liefen und ich ihm zuraunte: ›Spastblick!‹, zog er sofort den linken Mundwinkel eigenartig nach unten, rollte mit den Augen und röhrte dazu wie Chewbacca. Die Leute guckten dann etwas verstört oder sahen verschämt zur Seite, und wenn ich anschließend um das Leergut bat, konnte niemand es uns mehr abschlagen.« (30)

Es ist die Zeit im Leben, wo man beginnt, die Eltern peinlich zu finden und sich zaghaft für das andere Geschlecht und Zigaretten zu interessieren. Alle Sorgen sind in weiter Ferne. Bis eines Tages plötzlich Anja auftaucht. Sie hat kurzes Haar und ist auch sonst das Gegenteil von den Mädchen, die Konni kennt. Alle drei freunden sich an, spielen Verstecken, beobachten Spatzen und bauen sich ein verstecktes Lager, einen geheimen Rückzugsort im Wald, wo Konni russische Märchen erzählt. Es ist ein Ort, der sie zusammenschweißt und ihre eigene Welt abriegelt. Doch nicht lange und es wird klar, dass Anja ein Geheimnis hat. Sie hat keine Eltern, kein Zuhause – stattdessen gehört sie nach Espenhain, dem zwielichtigen Kinderheim, dass alle im Ort mit Argwohn betrachten und aus dem Anja weggelaufen ist. Ein Geheimnis, dass die drei Freunde nur noch mehr zusammenwachsen lässt.

»Meine Mutter warnte meinen Bruder und mich regelmäßig davor, uns mit den Heimkindern einzulassen: ›Die kommen aus schwierigen Verhältnissen. Sehr traurig, so was. Aber von denen solltet ihr euch lieber fernhalten. Alles kleine Verbrecher!‹ Was schwierige Verhältnisse genau sind, wusste ich nur vage. Vielleicht würde ich Anja einmal danach fragen. Auf jeden Fall sah ich keinen Grund dafür, mich von ihr fernzuhalten. Im Gegenteil, es zog mich geradezu zu ihr hin.« (53)


Eine Piratenbraut wie Alaska, eine jugendliche Momo

Anja ist frech und cool, weder prüde noch pink, dafür schweigsam und naturverbunden, abenteuerlich und genauso flüchtig und schön wie ein Glühwürmchen. Sie raucht gerne und viel und in ihrem Inneren toben ab und zu Gewitter, die sich auf ihrem Narben übersäten »Donnerarm« verewigen. Ein Faszinosum für die beiden Jungs.

»Sie interessiert sich nicht für Pferde oder Ballett. Sie trinkt keinen Tee in der Geschmacksrichtung Kirsch-Vanille, guckt keine Tanzfilme und liest keine ›Bravo‹. Dafür kann man mit ihr auf Bäume klettern und um die Wette tauchen. Ich liebe ihre Haut, die sich so schön anfasst und die nach Sommer duftet…« (150)

Und es kommt, wie es kommen muss. Erste Eifersüchteleien schleichen sich ein und werfen einen Schatten über ihre Freundschaft. Konni wendet sich immer mehr von Holger ab und schließlich spitzt sich die Lage zu, als alle auf der Suche nach der verschollenen Espenhainerin sind. Zusammen mit Konni beschleicht auch die Leserschaft immer deutlicher das Gefühl, dass das alles nicht gut enden wird. Dass der Sommer mit Anja sich dem Ende zuneigt…

Es ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman und Konrad und Anja typische Figuren für dieses Genre, hier und da neigt die Geschichte auch zum Kitsch. Und trotzdem ist es eine großartige Lektüre, eine leichtfüßig schwebende, leuchtende Geschichte. Man lässt sich von einer Nostalgiewelle mitreißen und die zaghafte Liebe durchflutet einen mit wohlig warmen Schauern. Ein »Hach, wie schön«-Buch!

 

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»Mein Sommer mit Anja« von Steffen Schroeder umfasst 208 Seiten, erschien am 28.01.2020 bei Rowohlt Berlin und kostet als Hardcover 20,00 €.

 

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