Literatur
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Robert Seethaler »Der Trafikant«

Robert Seethaler erzählt in »Der Trafikant« auf sehr zarte und verdichtete Weise von dem jungen Franz Huchel, seiner Liebe zu der Tänzerin Anezka und seiner Freundschaft zu Siegmund Freud im Wien Ende der 1930er Jahre.

Ein schmaler wie ehrlicher Bericht aus düsteren Zeiten

Mittelpunkt, Keimzelle und pulsierendes Herz dieser Geschichte ist die Trafik von Otto Trsnjek, ein kleiner Zeitungs- und Tabakladen in Wien nahe des Praters und der Wohnung des mittlerweile 80-jährigen Professors Sigmund Freud.

Der nicht einmal volljährige Franz Huchel verlässt im Spätsommer 1937 seine beschauliche Heimat, dem Salzkammergut am Attersee in Oberösterreich, um als Trafikanten-Lehrling in der Hauptstadt sein Glück zu suchen.

 

»Wer nichts weiß, hat keine Sorgen, dachte Franz, aber wenn es schon schwer genug ist, sich das Wissen mühsam anzulernen, so ist es doch noch viel schwerer, wenn nicht sogar praktisch unmöglich, das einmal Gewusste zu vergessen.« (S. 199)

Durch das tägliche Zeitunglesen und den kritischen Geist des alten, einbeinigen Trafikanten Otto erlangt der ungebildete Provinzbub immer mehr Wissen, Klugheit und Meinung zum politischen Weltgeschehen und Fragen von Anstand und Moral – ihm offenbaren sich auf einen Schlag Segen und Fluch der Mündigkeit.

Ein Geruch von Druckerschwärze und kubanischen Zigarren

»›Ein guter Trafikant verkauft nicht einfach nur Tabak und Papier‹, sagte Otto Trsnjek und kratzte sich mit dem hinteren Ende der Schreibfeder an seinem Beinstumpf. ›Ein guter Trafikant verkauft Genuss und Lust – und manchmal Laster!‹« (S. 33)

Und auch Franz macht bald Bekanntschaft mit diesen zweien, Lust und Laster, er verliebt sich maß- und schonungslos in die Varietétänzerin Anezka aus Dobrovice mit den himmlischsten Rundungen und der schönsten böhmischen Zahnlücke von ganz Wien. Doch ihr flatterhafter, zwielichtiger Lebensstil einer Konkubine und ihre häufige Unauffindbarkeit lässt Franz‘ unerfahrenes, gerade erst erblühtes Herz die Abgründigkeit der Liebe erfahren. Was hilft, mit den Wirren der Libido und der sich dramatisch zuspitzenden politischen Verhältnisse umzugehen, ist die Freundschaft zu Freud, »dem Deppendoktor«, der Stammgast in der Trafik ist und den jungen Franz von Anfang an fasziniert hat. Vereint sind die beiden so ungleichen Gestalten in ihrer Ratlosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Liebe und der Welt.

Die ersten Attacken, Pöbeleien, Schmierereien mit Schweineblut, »Judenfreund«, und zerbrochenen Scheiben, können die beiden Trafikanten noch verkraften und verschwinden lassen, ihren Standpunkt und ihre Ideale hochhalten, doch dann wird Otto von der Gestapo verhaftet und schließlich muss auch die jüdische Familie Freud ins Exil nach London fliehen.

»Das wäre es ja vielleicht, dachte er, einfach so stehen bleiben und sich nicht mehr bewegen. Dann würde die Zeit an einem vorbeitreiben, und man müsste nicht mehr mitschwimmen oder dagegen anstrampeln.« (S. 759)

Franz verliert sich in der Hoffnungslosigkeit des Jahres 1939. Er kann mit seiner Kritik und Abneigung gegen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, die sich für ihn unter anderem in der schleichenden Gleichschaltung und immer offensiver werdenden Propaganda im täglichen Zeitungsbericht verfolgen lassen, nicht hinterm Berg halten. Und so führt sein Weg unausweichlich zum ehemaligen Hotel Metropol, wie der so vieler anderer auch…

»›Im Versuch erschaffen wir die Welten neu‹« (S. 221)

Leider wird die zarte, eher schweigsame und ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem Jungen und dem berühmten Psychoanalytiker nicht so weit ausgebreitet, wie man es sich erhofft und erwartet hätte. Als Franz auf Anraten Freuds beginnt, seine wirren, aufwühlenden Träume zu notieren, klebt er diese all morgendlich notierten Traumberichte in die Auslagenscheibe, statt sie mit Freud zusammen zu analysieren und zu deuten – ein Erwartungsbruch, dessen Enttäuschung allerdings nicht lange anzuhalten vermag. Auch sind die durch den Professor gelegentlich eingestreuten Weisheiten nicht die tiefsten oder neusten, andererseits wird die historische Figur auch nicht zum Genie verklärt, sondern als gebrechlicher, resignierender Greis gezeigt, der er inzwischen ist.

Einschätzung

Seethaler führt einmal mehr vor, dass er ein virtuoser und leichtfüßiger Erzähler ist, der hier gekonnt ein zartes Geschichtchen entwirft, das es schafft, erfrischend neu daherzukommen und das meiste nur anklingen zu lassen. Er beweist ein Talent, Emotionen greifbar zu machen und findet eigene Bilder für seine Erzählung, wobei sich eine Vorliebe für Insekten deutlich wird. Er gibt auch der Stille und kleinen Bewegungen Raum und lässt so unheimlich vieles in diesem so schmalen Roman anklingen, ohne sich je zu hetzen. Völlig ungroßspurig spürt er dem Wesen des Denkens, Wahrnehmens und Träumens nach.

Franz ist eine Figur, die man so noch nicht kennt und auch nicht sofort durchschaut. Er bleibt glücklicherweise nicht an den Grenzen naheliegender Klischees hängen und trägt schwer an seiner eigenen traurigen Absurdität.

Eine (un)typische Geschichte des dritten Reichs?!

Ja und nein. Häufig wird der eigentliche Akt des Grausamen ausgespart. Seethaler appelliert an das Wissen, das jeder bereits in Fülle zu den Verbrechen der Zeit hat, ohne aber lediglich die massenhaft erzählten und zu Klischees und Symbolen gewordenen Judenschicksale aufzurufen. In »Der Trafikant« fällt das Licht mehr auf Mitläufer, Weggucker und kleinere Quälereien. Uns wird eine kurze, leichtfüßige Geschichte präsentiert, die der Ernsthaftigkeit und Schwere des Themas trotzdem und gerade deswegen gebührenden Respekt zollt und in der Koppelung mit Alltäglichem, Banalem und Schönem vieles noch grausamer erscheinen lässt.

Dieser österreichische Blick auf die Zeit unter Hitlers Herrschaft endet noch während des Krieges als Frieden und Erlösung noch nicht in Sicht sind. Das Schicksal der drei Hauptfiguren klingt dabei nur leise zwischen den Zeilen an. Das letzte Bild, das der Roman entwirft, ist Anezkas liebevoller Blick auf die staubige, verlassene Trafik – ein tieftrauriger Moment, der sie jedoch im selben Zuge rehabilitiert, indem die Verurteilung der Frauenfigur wegen scheinbar gefühlskalter Anpassung und sexueller Gefügigkeit relativiert wird.

Fazit

Ein schnörkellos, aus der Mitte der Ereignisse heraus erzählter, stimmiger, kompakter Roman, der kein Wort zu viel oder zu wenig aufwendet. Zarte und leise Töne werden bemüht und Figuren fernab der populär gewordenen Schicksale entworfen. Mit einer auffallenden Leichtigkeit erzählt Seethaler und erschafft einen modernen Klassiker.

»Der Trafikant« von Robert Seethaler erschien erstmals im August 2012 bei Kein & Aber, umfasst 256 Seiten und kostet gebunden 19,90 € und im Taschenbuch 12,00 €.

»Der Trafikant« wurde außerdem von Regisseur Nikolaus Leytner verfilmt, mit Simon Morzé als Franz Huchel und Bruno Ganz als Sigmund Freud. In Deutschland soll der Film am 1. November 2018 in die Kinos kommen.

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https://keinundaber.ch/de/literary-work/der-trafikant/

 

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