Literatur
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Susan Sontag »The Doors und Dosto-
jewski. Das Rolling-Stone-Interview mit Jonathan Cott«

»Zu leben ist ein aggressiver Akt.« (S. 62)

Ring frei – oder besser Salon frei für eine große Denkerin! Susan Sontag, 1933 bis 2004, war eine amerikanische Schriftstellerin, Essayistin, Publizistin und Regisseurin, die vor allem als Kritikerin der gesellschaftlichen Verhältnisse im Gedächtnis geblieben ist und sich für Menschenrechte einsetzte.

»Unsere Gesellschaft ist auf Nihilismus gegründet – Fernsehen ist Nihilismus. Ich meine, Nihilismus ist keine moderne Erfindung irgendwelcher Avantgarde-Künstler. Es steht im Zentrum unserer Kultur.« (S. 59)

1978 traf sie sich zu einem mehrstündigen bzw. -tägigen Interview in ihren Domizilen in Paris und New York mit Jonathan Cott, einem redaktionellen Mitarbeiter des Rolling Stone, der sie als Dozentin während seines Studiums kennenlernte und den seitdem eine Freundschaft zu ihr verband.

Die Idee der Gesprächsreihe »Kampa Salon« – eine interessante Schriftenreihe des Kampa Verlags mit grandiosen Covern – ist es, einen leichten Zugang zum gehaltvollen Werk großer DenkerInnen und Literaten zu ermöglichen. Das liegt im Gesprächsformat begründet, das locker, lebendig und abwechslungsreich ist und gut dafür geeignet, Komplexes herunterzubrechen und Überblicke zu gewähren. In diesem Fall allerdings war mein überwiegender Eindruck: Dieses Büchlein von einem Interview ist schwer verdaulich und der Leser wird schnell abgehängt, wenn sich sehr voraussetzungsreich intellektuelle Bälle zugespielt werden.

Trotzdem gewinnt man einen Eindruck von Sontags Denken und ihren Argumenten und erhält einen hilfreichen Querschnitt durch ihr Werk. In dem Rolling Stone-Interview bezieht die Intellektuelle Stellung zu den wichtigsten Themen aus ihren bedeutendsten Schriften »Über Fotografie«, »Krankheit als Metapher« und »Kunst und Antikunst«, aber auch zu ihrem literarischen Schaffen. Dieser Salon-Band eignet sich also am ehesten, die Denkerin kennenzulernen, um sich in Zukunft eingehender mit ihr beschäftigen zu können. Immer mal wieder scheint auch die private Person hinter dem beeindruckenden Œuvre auf, trotzdem liegt der deutliche Fokus auf geistesgeschichtlichen Fragestellungen.

»›Ich bin süchtig nach dem kreativen Dialog (…). Für mich ist es das Medium meiner Rettung.‹« (S. 17)

»›Ich mag Interviews (…) und zwar deshalb, weil ich die Unterhaltung, den Dialog, mag und weiß, dass viele meiner Gedanken im Gespräch entstehen. Das Schwerste beim Schreiben ist in gewisser Weise, dass man allein ist und eine Unterhaltung mit sich selbst führen muss, was eine dem Wesen nach unnatürliche Tätigkeit ist. (…) Gespräche geben mir die Gelegenheit, herauszufinden, was ich denke.« (S. 16)

Aus diesem Grund ist Susan Sontag, die sich selbst als »streitbare Ästhetin« und »kaum verhohlene Moralistin« bezeichnete, ein sinnvoller und dankbarer Interviewpartner, auch da sie nicht zwanghaft an ihren früheren Standpunkten festhält, sondern gegen sich selbst sehr kritisch ins Feld geht.

»Ich halte nichts davon, andere zu verurteilen. Schließlich ist es so viel einfacher, sich selbst zu ändern, als jemand anders zu ändern.« (S. 26)

Sie beweist, dass vor ihr als vielseitiger Denkerin kaum ein Thema sicher war. In diesem Gespräch verhandelt und reflektiert sie ihre Meinung zum Verhältnis von Gesundheit und Philosophie, psychischen Ursachen und somit der Schuld oder Verantwortung für das Krankwerden, dem Altern, Kulturen der Scham und Kulturen der Schuld, dichotomischen Systemen, Religion und Transzendenz, Feminismus, Misogynie, Stereotypen, dem Wesen der Sexualität, das eigentlich nicht mit der Liebe zusammengehe, zur Philosophie, Ästhetik, Ideologie, der akademischen Welt, dem Schreiben, zu Metaphern, Fotografie, Wahnsinn, dem Kiffen und so vielem mehr.

Letztlich plädiert sie vor allem für das kritische Überdenken, was die Dinge komplizierter mache und deshalb gut und wichtig sei und für das Ende einer Unterscheidung zwischen Denken und Fühlen und dem Solipsismus.

»Die Aufgabe des Schriftstellers, so wie ich sie sehe, besteht darin, mutig und entschlossen gegen alle Arten von Unwahrheit vorzugehen…« (S. 142)

Doch auch Privates klingt an, wenn sie von ihrer eigenen Krebserkrankung spricht, von Ehe, Scheidung, Mutterschaft und ihren Lieblingslektüren – allen voran Dostojewskis »Die Brüder Karamasow«.

 

 

»Rock ’n’ Roll hat mein Leben verändert.« (S. 50)

»›Wenn ich zwischen den Doors und Dostojewski wählen müsste, dann würde ich – selbstverständlich – Dostojewski wählen. Aber muss ich denn wirklich wählen?‹« (S. 9f.)

Susan Sontag war immer strikt gegen die Trennung von sogenannter Pop- und Hochkultur: »Die Behauptung, der Buddhismus sei die höchste spirituelle Entwicklung der Menschheit, klingt ziemlich überzeugend. Für mich ist der Rock’n’Roll die höchste Entwicklung der populären Musik.« (S. 52f.) Populäre Musik geprägte das Denken der leidenschaftlichen Viel-Leserin von unterschiedlichster Literatur.

»Wenn ich die Welt nicht mehr ertrage, igle ich mich mit einem Buch ein, und dann bringt es mich von allem fort, wie ein kleines Raumschiff.« (S. 50)

»Die feministische Revolution hat meiner Meinung nach noch gar nicht begonnen.« (S. 83)

Für einen Feminismus der Gleichheit hat sie sich immer eingesetzt, zusammen mit der Abschaffung anderer stereotyper Gegensatzpaare. Dabei ging es ihr nicht nur um gleiche Rechte, sondern auch um gleiche Machtverteilung: »Mein Feminismus ist egalitär.« (S. 84) Hier ist sie von Simone de Beauvoir beeinflusst: »Das andere Geschlecht« ist für Susan Sontag »das beste feministische Buch, das je geschrieben wurde« (S. 31).

Am Ende plädiert sie dann für eine Geisteshaltung des Neuanfangs, für Rastlosigkeit und das Neudenken.

»Für mich wäre es furchtbar, wenn ich das Gefühl hätte, mit allem übereinzustimmen, was ich bisher gesagt und geschrieben habe – das würde mich mehr als alles andere beunruhigen, denn es hieße, dass ich aufgehört hätte zu denken.« (S. 142)

 

Fazit: Spießrutenlauf durch ein Œuvre

Das Rolling Stone-Interview mit Susan Sontag ist anregend und leichtfüßig, das Portrait einer Größe ihrer Zeit, die irgendwo zwischen cool und bescheiden rangiert.

So kann das Buch zur Initialzündung werden, um sich mehr oder überhaupt mit Sontags Person oder ihrem Werk auseinanderzusetzen. Oder – wenn man bereits genügend Vorwissen hat– eine komfortable Zusammenschau ihrer wichtigsten Leitfragen, Themen und Aussagen komprimiert liefern. Für Sontag-Neulinge ist es allerdings schwer, dem Gespräch zu folgen und den Thesen-Reigen zu durchdenken. Sprunghaft und auf zu viele Referenztexte zurückgreifend, die nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können, ist dieses Abhandeln großer Denkkomplexe, die immer nur kurz angerissen werden können, eher überfordernd.

»Wer sagt, dass mit Außenseitern etwas nicht stimmt? Die Welt sollte doch auch für Menschen an ihrem Rand ein sicherer Ort sein. Eines der wesentlichen Merkmale einer guten Gesellschaft sollte sein, Randexistenzen zu tolerieren. (…) Ich bin entschieden für Abweichler. (…) Aber warum werden wir immer bürokratischer, normierter, repressiver uns autoritärer, statt den Menschen größere Freiheiten zu lassen?« (S. 45f.)

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Susan Sontag »The Doors und Dostojewski. Das Rolling-Stone-Interview mit Jonathan Cott«, aus dem amerikanischen Englisch von Georg Deggerich übersetzt, umfasst 160 Seiten, erschien am 04.10.2018 bei Kampa (Kampa Salon) und kostet gebunden 20,00 €.

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