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Humor als Schlüssel zum Leben: »Toni Erdmann« eine Film-Kritik

Maren Ade gelingt ein außergewöhnlicher Streifen, eine Tragikomödie, die ihresgleichen sucht und dem deutschen Film zu ganz neuen Höhen verhilft – einer der besten Filme seit langem!

»Toni Erdmann« ist die Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung. In jeder Hinsicht ungewöhnlich und herzerwärmend! Der Musiklehrer Winfried Conradi und seine Tochter Ines haben sich entfremdet. Sie ist nun eine erfolgreiche Unternehmensberaterin in der rumänischen Hauptstadt Bukarest und ihr Lebensstil ist Welten entfernt vom gemächlichen Leben des zum derben Witz und skurrilem Ulk neigenden Vaters mit seinem gealterten Hund Willi.

Winfried ist eine durchaus tragisch angelegte Figur. Die Familie kehrt ihm den Rücken, weil sie mit seiner Art, das Leben zu nehmen und seinem gewöhnungsbedürftigen Humor nicht umgehen können und er vereinsamt zunehmend. Er passt einfach nicht rein in die Runde Wein trinkender, durchgestylten Hobby-Jäger und die adretten, gutbürgerlichen Zahntechniker. Und erst recht passt er nicht zu seiner Tochter Ines, die jetsettende Karrierefrau, die in der Unternehmensberatung die „unpopulären Entscheidungen“ trifft, um noch weiter nach oben zu kommen. Doch Vater Conradi lässt es darauf ankommen! Nach dem plötzlichen Tod seines Hundes reist er spontan nach Bukarest und besucht seine Tochter im Foyer ihrer Firma. Notgedrungen nimmt sie ihn mit zu sich, doch die beiden geraten pausenlos aneinander. Froh ihren Vater nach einem Wochenende wieder losgeworden zu sein, stürzt Ines sich wieder in ihren üblichen Alltag, der vollkommen vom Job eingenommen wird. Meetings, Dinnerpartys, riskante Strategien, die über tausende Arbeitsplätze entscheiden, sie ist eine toughe Frau und die muss sie sein in dieser Welt.

»Selbst wenn ich aus dem Fenster springen wollen würde, wären du und die Käsereibe auch nicht die Kombination, die mich davon abhalten.«

Doch als sie ihren Freundinnen genüsslich von diesem desaströsen Familienwochenende berichten will, kommt es noch dicker: Winfried steht ihr in dem schicken Business-Lokal gegenüber, mit zerzauster Langhaarperücke, schillerndem schlecht sitzenden Anzug und biestigem Scherzgebiss. Als Toni Erdmann stellt er sich der Frauengruppe in schlechtem Englisch vor. Businessman, Consultant und Coach. Bester Freund von Ion Tiriac und dessen Schildkröte, interessiert an wild aussehenden Beißern, Käsereiben und anderem Schabernack und der absolute Albtraum seiner Tochter, die sogar noch im Schlaf an ihrer Work Performance und wichtigen Kontakten arbeitet. Noch bleibt ihr nichts anderes übrig als das Spiel des Vaters mitzuspielen, doch schon bald gibt sie Toni Erdmann die Chance, tiefer in ihr Leben vorzudringen.

In Gestalt dieser Kunstfigur, seinem schillernden alter ego, mischt sich Winfried als Toni Erdmann in das Berufsleben seiner Tochter ein. Unverstellt, mutiger und gnadenlos ehrlich sind die beiden im Spiel der Identitäten und kommen sich so wieder näher. So können sogar die großen Themen auf den Tisch – Leben, Vergangenheit, Glück – und Ines, unter ihren Kollegen „das Tier mit Biss“, lässt sich überraschend auf die humoristische Lebenshaltung und die exzentrischen Rollenspiele ihres Vaters ein. Schließlich beginnt sie, ihre eigenen Entscheidungen zu überdenken…

 

Toni Erdmann führt das Leben ad absurdum

»Toni Erdmann« wird total von den großartigen Hauptdarstellern Sandra Hüller und Peter Simonischek getragen. Filmtechnisch sehr zurückgenommen – ein Soundtrack ist praktisch nicht vorhanden, Kameraführung mutet fast schon dokumentarisch an – ist es die pure Schauspielerleistung, die überzeugt und es möglich macht, Gefühle, Gedanken und ganze innere Handlungskonflikte vom Antlitz abzulesen. Zwar setzt der Film auf ruhige Einstellungen, die den Zuschauer fordern und ihn in die Lage bringen, das häufig bedrückende, vorwurfsvolle Schweigen zwischen Vater und Tochter mit zu ertragen, in dem eine unterschwellige Kritik des Alt-68ers an dem leistungsorientierten Leben seiner Tochter anklingt, die sich in einer Männerdomäne durchzusetzen versucht. Und doch mutet der Streifen eher kurzweilig an und lässt die mehr als zweieinhalb Stunden des Films gelungen zu gefühlt der Hälfte zusammen schmelzen.

Vater Conradis Humor ist skurril, er nimmt sich selbst nicht zu ernst und seine Späße führen die Absurdität des Lebens vor, welches das restliche Figurenensemble in Fleiß und Prestige-Sucht verbissen an sich vorbei ziehen lässt. In seinen Schelmenstücken steckt eine gehörige Portion Weisheit und nicht weniger Zynismus.

Maren Ade ist ein fantastisches, stimmiges und einzigartiges Drehbuch gelungen. Die Dialoge sind reizvoll, der Humor brillant. Tragikomisch wird eine Gesellschaftsstudie in einem von Kontrasten gezeichneten Schwellenland entfaltet, die zwar alarmiert, aber vielschichtig ist und so keine einfachen Wertungen, keine Schwarz-Weiß-Malerei zulässt.

Eine überraschende, herzerwärmende, subtil erzählte Geschichte, absolut unkonventionell, hochgradig sympathisch und vor allem mal etwas ganz Neues!

Fazit

»Toni Erdmann« zeichnet feinsinnig ein Gesellschaftsbild als Hintergrund für eine anrührende Familiengeschichte, portraitiert ein vom Turbokapitalismus, Outsourcing-Projekten und eisigem Ehrgeiz geprägtes, beinahe zu Tode optimiertes Leben hinter einem starren Panzer. Doch viel mehr noch ist Maren Ades Tragikomödie ein Plädoyer an das intensive Leben! Sich selbst nicht zu ernst nehmen, spießige Konventionen zu vertreiben, sich etwas Kindliches zu erhalten, die Momente des Lebens im Jetzt genießen – Humor wird als besondere Sichtweise auf die Welt verstanden.

In einer nie dagewesenen Intensität wachsen dem Zuschauer Vater und Tochter, ganz besonders in Gestalt von Toni Erdmann und Whitney Schnuck, ans Herz. In ihren Phantasieidentitäten sind die beiden mutiger, offener, humorvoller, auf gewisse Art echter.

Vieles wird in diesem Film nicht explizit ausgesprochen, der Zuschauer ist gefordert, aufgefordert, wird ernst genommen und ihm wird viel zugetraut. »Toni Erdmann« ist ein strahlender Lichtblick. Ein Beweis dafür, dass es um den Deutschen Film noch nicht geschehen ist. Dieser ungewöhnliche und mutige Film macht Hoffnung.

»Toni Erdmann« (D, 2016, 162 min.) wurde bereits mit zahlreichen Preisen überhäuft. Das Drehbuch stammt von der Regisseurin Maren Ade, in den Hauptrollen sind Sandra Hüller und Peter Simonischek zu sehen. Die DVD kostet 9,99 €.

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