Literatur
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Katharina Volckmer »Der Termin«

Ein Patientinnen-Monolog, der es in sich hat

»Das ist jetzt vielleicht nicht der beste Moment, um davon anzufangen, Dr. Seligman, aber ich musste gerade daran denken, wie ich einmal geträumt habe, ich wäre Hitler.« (7)

Schon der erste Satz dieses Debüts, das es auf die Hotlist 2021 geschafft hat, zielt mitten hinein ins Zentrum aus Tabu, Scham, Identität und Schuld einer Nation. »Der Termin« kommt stilistisch radikal als ein einziger Monolog daher. Der Redeschwall einer aus Deutschland ausgewanderten Patientin, die während einer Untenrum-Untersuchung ihrem englischen Arzt gegenüber alle Schutzwälle brechen lässt. Alle Scham und Ängste, der ganze Zorn, die Verunsicherung über ihren Körper und Geschlechtsidentität, intime Geschichten, Eskapaden und Fick-Abenteuer ergießen sich ungebremst über alle, die bereit sind, zuzuhören. Dabei legt die Ich-Erzählerin einen derben Witz an den Tag, sucht die Provokation geradezu und unterstreicht lakonisch mit einer klaren Bestimmtheit ihre gewonnenen Überzeugungen bis hin zu einer gestärkten Selbstbestimmtheit.


»Es war immer ausgeschlossen, dass wir mit einer derart miserablen Landesküche ein Reich für tausend Jahre würden halten können, es gibt einfach Grenzen, was man den Leuten antun kann, und jeder normale Mensch würde nach einem Nachschlag von unserem sogenannten Essen anfangen, sich nach Freiheit zu sehen. Das war schon immer unsere Schwäche, wir haben nie etwas geschaffen, das ohne höheren Zweck genossen werden kann – nicht umsonst gibt es im Deutschen kein Wort für
pleasure; wir kennen nur Lust und Freude. Unsere Kehlen werden nie feucht genug, um jemandem mit Hingabe einen zu blasen, weil wir als Kinder zu viel trockenes Brot essen mussten. Kennen Sie dieses grauenhafte Brot, das wir andauernd essen und von dem wir allen erzählen? Eine Art selbsterhaltender Mythos. Ich glaube, es ist eine Strafe Gottes für all die Verbrechen, die wir begangen haben, insofern wird wohl nie etwas so Sinnliches wie ein Baguette oder etwas so Saftiges wie die Blaubeermuffins, die es hier gibt, aus diesem Land kommen. Es war einer der Gründe, weshalb ich auswandern musste: Ich wollte nicht länger an dieser Brotlüge teilhaben.« (7f.)

 

Katherina Volckmer schreibt zwar auf Englisch, zielt aber auf die Deutschen, deren Verklemmtheit und Spießigkeit im Angesicht der schlimmstmöglichen historischen Vorbelastung. All das passiert nicht an irgendeinem Tag, im Behandlungszimmer irgendeines Arztes. Dr. Seligman ist jüdisch, ein plastischer Chirurg und er wird ihre Geschlechtsangleichung vornehmen. Endlich nicht mehr in das Schema Frau passen müssen, das ohnehin hoch masochistisch ist, und der sein, der sie immer war (noch verwendet die Protagonistin das weibliche Pronomen für sich). Und das alles bezahlt von dem Geld ihrer Nazi-Familienerbschaft – die Dinge sind komplex und verquer, genau wie das Leben.

»Einer meiner vielen Defekte ist, dass ich mir das Schicksal immer als theatralische, fette Person auf einer Chaiselongue vorstelle, die irgendein albernes Haustier streichelt und darauf wartet, dass man ihren Launen nachkommt.« (13)

 

Jetzt wird aufgeräumt mit den Klischees von Weiblichkeit

»Haben Sie schon einmal versucht, von jemandem grundlegende Achtung einzufordern? Ich verlange ja gar nichts Drastisches wie respektvollen Sex oder echte Gefühle (…).« (11)

Die Erzählstimme berichtet davon, wie sie ihren Ex-Freund K. bei einem Toilettenfick auf der Herrentoilette kennengelernt hat, wie sie so wütend wurde, dass sie ihren Kollegen mit einem Tacker bedroht hat und wie sie deshalb zur Aggressionsbewältigung zu einem Therapeuten musste und aus Trotz und Langeweile immer nur erfundene Geschichten für diesen parat hatte: Geschichten über ihre Sexfantasien mit Hitler. Assoziativ lässt sich die Stimme leiten, von Stöckchen auf Hölzchen. Es geht um Liebe und Einsamkeit, um das Gefühl des Ekels in Bezug auf den eigenen Körper, das Gefühl, niemals irgendwo reingepasst zu haben,  um die Wut auf die absurden Erwartungen, die an sie als eine Vertreterin des Frauenmenschen gerichtet werden, um die Probleme zwischen Männern und Frauen, um eine misogyne Gesellschaft und Metoo, den Kampf um Selbstbestimmung und schließlich um Herkunft, Religion und Grenzüberschreitungen, um Sexroboter, Hitler und Tauben.

»Ich fand das alles immer furchtbar verwirrend und dachte oft, dass man doch eher die Schwänze verstecken müsste, dass wir die Waffe und nicht die Wunde aus der Öffentlichkeit verbannen sollten.« (110)

 

 

Provocatively beautiful

Dieser Debütroman rockt! »Der Termin« ist nicht nur formal ein Hingucker – genau wie auch das Cover ein absoluter Volltreffer ist –, hier wird ein Feuerwerk der Monologkunst abgeliefert, eine Hasstirade, eine Pointenmaschine, eine Freud’sche Assoziationskette, eine Achterbahnfahrt durch ein halbes Leben. Dabei legt es die Erzählstimme auf Provokationen an, die einen lauthals auflachen oder bestürzt die Augen niederschlagen lassen. Sie findet immer wieder überraschende Bilder und der Themenspaziergang gerät so gut wie nie platt, auch wenn er hier und da etwas zu sehr um Effekt hascht oder sich einer Phrase bedient. Einziger Wehmutstropfen: Leider lässt sich die Autorin auf den letzten Sätzen dazu hinreißen, doch noch die Pathos-Kanone abzufeuern…

 

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»Der Termin« von Katharina Volckmer umfasst 128 Seiten, erschien am 11. August 2021 beim Kanon-Verlag und kostet fest gebunden 20,00 €.

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