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Wenn ich groß bin, werd ich Lektorin!

Traumberuf vieler Buchliebhaber, Literaturwissenschaftler und Bücherwürmer?

Die interessantesten Manuskripte landen auf dem Schreibtisch, es wird gelesen bis zum Umfallen und anschließend intensiv am Text gearbeitet und redigiert, bis er perfekt ist? Das stellen sich viele vor, wenn sie an den Beruf des Lektors denken. Das waren auch meine Vorstellungen, bevor ich ein Praktikum im Lektorat eines großen Buchverlages und zwei weitere Praktika bei einem Hörbuchverlag und einer Literaturagentur absolvierte und feststellten musste, dass die Realität doch etwas anders aussieht.

** Das Lektorat im Buchverlag
Das Lektorat ist das Herzstück eines Verlages, der Ursprung eines Buches. Ohne Lektorat und Lektoren, die die Autoren akquirieren und betreuen, würde jegliche Grundlage eines Buches fehlen – das Manuskript bzw. der Text.

Je nachdem was der Verlag im Programm hat oder worauf er spezialisiert ist, wird das Lektorat nach Genre, meist Belletristik und Sachbuch, unterteilt. Oder aber auch nach den verschiedenen Imprints, wie zum Beispiel Ullstein Fünf (Fokus deutschsprachige Autoren), Fischer Tor (Fantasy), Rowohlt Polaris, E-Books etc. unterteilt.

** Aufgaben einer Lektorin
Die Lektorin ist zuständig für die Prüfung von eingehenden Manuskripten. Das vorliegende Manuskript muss auf Herz und Nieren gelesen und geprüft (lektoriert) werden. Dabei wird auf Inhalt als auch Sprachstil des Autors geachtet. Beides muss zusammen harmonieren und als Gesamtpaket überzeugen. Ich habe mich immer gefragt, wonach die Lektoren entscheiden, ob ein Text Potenzial hat oder nicht. Bei meinen Praktika konnte ich genau diese Frage stellen und erhielt folgende Antworten: Schafft es der Text mich zu verzaubern? Hat er Charme? Will ich unbedingt wissen, wie es weitergeht? Sind mir die Protagonisten sympathisch und die Geschichte spannend/ unterhaltend/ berührend? Man entwickelt ganz schnell ein Gefühl für das Potenzial eines guten Textes. Auch ein Bauchgefühl kann da aushelfen.

Das Lesepensum eines Lektors ist enorm hoch! Ãœber Agenturen, Scouts oder ausländische Verlage finden tagtäglich unglaublich viele Manuskripte den Weg auf den Schreibtisch eines Lektors, die alle gelesen werden wollen. Dabei geht es heiß her zwischen den Verlagen. Welcher Titel landet bei welchem Verlag – die Konkurrenz ist groß. So könnte doch hinter jedem Titel, hinter jedem neuen Manuskript, ein neuer großer Bestseller stecken, der die Massen begeistert. Durch den Druck, so schnell wie möglich, so viel wie möglich zu lesen, bekommt das Lesen neue Ausmaße. Es mutiert zu einem regelrechten Hochleistungslesen, bei dem jede Taktik des Querlesens von Vorteil ist. Entspanntes Lesen auf der Couch ade. Denn schon während des Leseprozesses rattert im Hinterkopf die Vermarktungsmaschine, auf der Suche nach den passenden Verkaufsargumenten, die die Vorteile und die Einzigartigkeit des Romans hervorheben sollen. Was für den Buchkäufer eher weniger wichtig ist, für die Verlagsbranche aber eine umso größere Rolle spielt, ist die genaue Definition der Zielgruppe für ein Buch.  

Ich habe mir bisher wenig bis gar keine Gedanken darüber gemacht, dass hinter den Büchern, die ich lese, ein ausgeklügeltes Konzept steckt, sodass genau mein Geschmack/ Alter/ Interesse angesprochen wird und mich dann zum Kauf verleiten soll. Wer denkt schon über sowas nach, wenn er ein Buch kauft? Aber ich finde diesen Punkt wirklich interessant, denn ich musste feststellen, dass der Rahmen, der eine bestimmte Zielgruppe begrenzt, echt knapp bemessen ist und das knallhart aussortiert wird. Das Manuskript schwebt zwischen zwei Genres und lässt sich nicht eindeutig zuordnen? Schwierig, denn der Buchmarkt denkt gern in Schubladen und dem Buchkäufer soll beim ersten Blick auf Cover und Titel klarwerden: Ah, ein Krimi! Ohne Blut, düstere Landschaft oder  potentielle Mordwaffe geht es hier meist gar nicht. Das trifft besonders häufig bei Genreliteratur zu (Krimi, Fantasy, Sc-Fi..). 

Der Lektor steht regelmäßig unter Zeitdruck, muss Fristen für ein Angebot zum Manuskript einhalten, sich mit dem restlichen Team besprechen, Kontakt zu Agenturen und Scouts halten, Feedback geben und Argumente entwickeln, die für die Veröffentlichung des Textes sprechen, um noch nicht überzeugte Kollegen für sich und das Buchprojekt zu gewinnen. Wenn dann im Kollektiv entschieden wurde, dass dieser bestimmte Text ins Verlagsprogramm passt, muss er eingekauft werden. Sollten sich noch andere Verlage für den Text interessieren (das kommt sehr häufig vor!), wird eine Auktion gestartet, auf der jeder Verlag ein Angebot abgeben kann und natürlich versucht, Konkurrenten zu überbieten. Das kann über mehrere Runden laufen und in einem Best Offer enden. Das bedeutet, dass zu einem festgelegten Zeitpunkt alle Verlage, die noch in der Auktion sind, die Möglichkeit erhalten, ihr Höchstgebot abzugeben. Das Ganze verläuft also so etwa wie bei einer Ebay-Versteigerung, der Meistbietende erhält den Zuschlag. Der Preis für ein Manuskript plus Vorschuss für den Autor kann dann schon mal schnell im 5-stelligen bis 6-stelligen Bereich liegen!

Sobald das Manuskript eingekauft wurde, ist ein bestimmter Lektor für Autor und Text zuständig. Er kümmert sich um etwaige Bearbeitungen des Textes. Allerdings wird gar nicht so viel redigiert, wie ich zunächst dachte. Meist werden bereits erschienene oder bald erscheinenden englischsprachige/ fremdsprachige Buchprojekte übernommen und einfach übersetzt. Da gibt es nur etwas Spielraum was den Buchtitel anbelangt, aber ansonsten ist das Manuskript in seiner finalen Fassung vorliegend. Der Lektor erstellt dann Vorschau- und Klappentexte, liest Korrektur, sieht Revisionen durch, kollationiert (einen Text mit der Urschrift/ Textvorlage prüfend vergleichen), beteiligt sich in den sogenannten Coverrunden, um ein Cover für das jeweilige Buchprojekt zu entwickeln, behält Drucktermine im Auge und stimmt sich regelmäßig mit Herstellungs-, Presse-, Vertriebs-, Marketing- und Lizenzabteilung ab. Nebenbei fallen dann noch die üblichen Aufgaben an: bereits akquirierte Autoren betreuen, Recherche, Datenbankpflege, Netzwerken. Zusammengefasst: Es gibt immer viel zu tun. 🙂

** Keine Zeit für nichts?
Eine stressige, fordernde, aber sehr vielfältige und vielschichte Arbeit, bei der man trotz allem nicht den Spaß verlieren sollte. Dass für das Lesen von neu zu akquirierenden Texten allerdings nur noch wenig Zeit bleibt, kann man sich jetzt gut vorstellen. Und so bleibt dem Lektor nichts Anderes übrig, als Manuskripte mit nach Hause zu nehmen und dort zu lesen. Wochenendlektüre ist dadurch wohl immer gesichert. Im Lektorat zu arbeiten bedeutet eben auch, nie aufzuhören zu arbeiten. Neue innovative Texte können überall lauern, daher sind Lektoren gern auch viel in der kulturellen und literarischen Szene unterwegs. Bei Poetry-Slams oder auf Lesebühnen sind sie auf der Suche nach neuem Stoff für ein Buch.

** Fazit: Was bleibt vom Traumberuf?
Es würde wohl niemand widersprechen, dass der Beruf, bei dem Lesen die Hauptaufgabe ist, der Traumberuf schlechthin für jede Leseratte ist. Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen. Allein der Gedanke, mitentscheiden zu dürfen, was demnächst viele Leserherzen begeistern soll, finde ich wirklich toll und aufregend. Lesen ist und bleibt der Kern des Lektorats, jedoch wird die Zeit dafür immer geringer, andere Aufgaben nehmen mehr und mehr Zeit in Anspruch und das ist doch schon irgendwie paradox. Nichtsdestotrotz ist die Arbeit mit Büchern eine spannende und vielfältige Arbeit, die viel Herz, Verstand und Leidenschaft erfordert.

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