Literatur
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Kathrin Weßling »Nix passiert«

Wer bin ich ohne dich?

Alex wurde von Jenny verlassen. Was sich in der akuten Liebeskummer-Phase anfühlt, wie ein Kettensägenmassaker an seinem Herzen, ist einfach der Anfang einer neuen Lebensphase.

Wer kennt es nicht? Man aalt sich in Selbstmitleid, verloddert, verheult, Trash-TV, Stalking auf Social Media und man kann sich einfach nicht vorstellen, dass das Leben weitergehen wird. Jemals wieder Freude? Jemals wieder lieben? Alles ausgeschlossen. Man selbst der einzige Single auf der Welt, ein Freak, das Leben nicht im Griff. Alles, was man will, ist, dass NIX PASSIERT. Weil in einem gefühlsmäßig schon der dritte Weltkrieg tobt. Die Welt soll pausieren, damit man genug Zeit zum Leiden hat. Bis das irgendwann unerträglich wird, »bis man endlich kapiert: Es ist vorbei. Es ist nicht nur vorbei, sondern es wird auch vorbei sein, Futur zwei für immer« (211) und man alle Sachen seiner*s Ex wegschmeißt und endlich mal wieder duscht.

»Du hast mir das Herz nicht gebrochen, nein, das wäre dir ja zu wenig, das ist ja nicht doll genug, nicht krass genug, da muss die Faust her, mit der Faust hast du reingeschlagen, mitten rein, denn nur, was zertrümmert wird, zerschlagen und vernichtet, ist erledigt für dich, da gibt es kein Pardon, kein ›Entschuldigung, war nicht so gemeint‹, nicht mal die immer nicht ganz so ernstgemeinte Variante von ›Entschuldigung‹: ›Sorry, echt.‹ Nein, hier gibt es kein Pardon, keine Rücksicht, keinen Zweifel. Diene Worte sind eine Herzvernichtungswaffe, alles verseucht und tot danach, kontaminiertes Gebiet, das keiner je wieder getreten kann. Du hast alles versaut, du hast alles vergiftet, du dummes Stück Scheiße, ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich, ich vermisse dich so sehr.« (9)

 

Na danke, Bitch

Genauso geht es auch Alex, der Jennys Arm noch schmerzhaft in seiner Brust spürt. Berlin macht ihm plötzlich Angst, schließlich könnte er ihr überall über den Weg laufen. Allein der Gedanke daran, ist unerträglich. An Arbeit und ein geordnetes Leben ist eh nicht zu denken, eigentlich wartet er jeden Tag auf den Weltuntergang. Und bis es so weit ist, fährt er zu seinen Eltern in die Provinz. Was Besseres, ist im nicht eingefallen. Wenigstens hat er dort Abstand zu seinem verpfuschten Leben. Die Kehrseite dieser brillanten Idee ist allerdings, dass dort eben NIX PASSIERT. Jede Menge Zeit, um durchzudrehen, während die Gedanken um die schöne Jenny und das Warum, und das Was-wäre-wenn kreisen.

Womit Alex allerdings nicht gerechnet hat, ist, dass ihm Unmut entgegenschlagen würde. Wieso freut sich seine Familie denn nicht einfach, wenn er mal zu Besuch kommt? Sein kleiner Bruder Timo ist sogar offen feindselig, während seine Eltern offenbar ziemlich irritiert sind. Aber einfach mit der Wahrheit über den Grund seines Besuchs rauszurücken, ist auch keine Option für Alex.

»Wir haben doch telefoniert. Immer mal wieder. Ich war doch nie ganz weg. Ich war doch immer auch ein Stück weit hier. An Weihnachten. Ich gehöre doch auch dazu. Ich bin doch auch Familie.« (88)

 

Was stimmt nicht mit mir?

Je länger er im Kaff seiner Jugend bleibt, desto offenkundiger wird, dass die Idylle keine ist. Dass verschwiegene Wahrheiten und Enttäuschungen unter der Oberfläche brodeln und auch mit seinen alten Freunden noch Rechnungen zu begleichen sind. Alex erinnert sich zurück an die Zeit um seinen 16. Geburtstag, als die Panikattacken angefangen haben und an das Gefühl, weswegen er unbedingt weg von hier wollte. Gefällt ihm das Leben in der Großstadt überhaupt? Und sein Webentwicklerjob? Hat er die Kleinstadt eigentlich je hinter sich gelassen? Alex beginnt zu verstehen, dass es nicht nur um eine Trennung geht, sondern er sein ganzes Leben in Frage stellen muss, wenn es ihm wieder gutgehen soll…

Dem Buch ist anzumerken, dass Kathrin Weßling es nicht leichtfertig geschrieben hat, dass ihr das Thema nahegeht. Zusammen leidet man mit Alex, verrennt sich mit ihm in seinen selbstverletzenden Gedankenkaskaden und über allem dudelt »No Light« von Florence and the Maschine. Zwar braucht es etwas, bis man sich von der Erzählung mitreißen lässt – zunächst muss man das etwas enervierende Gejammer von Alex ertragen, dass sich immer im Kreis dreht, manchmal zu Beleidigungen, manchmal zum Philosophieren neigt, während wirklich leider NIX PASSIERT –, doch mit der Zeit wird diese Figur und seine Story besser greifbar und ergreift einen. Durch die stark subjektive Perspektive, die gewählt wird, dauert es eine ganze Weile, bis man herausfindet, was Alex für ein Typ ist und was da überhaupt alles vorgefallen ist, doch dann knallt es. Kathrin Weßling führt das Tückische an der Prämisse einer Partnerschaft vor Augen – die Beziehung als ultimativer Indikator für ein erfolgreiches Leben.

»Und dann labern alle ständig diesen Müll, dass man mit sich selber glücklich sein muss, um es mit jemand anderem sein zu können, und dass man sich nicht so schnell auf was einlassen soll, weil man ja erstmal herausfinden muss, wie der andere so tickt, aber verdammte Scheiße, Menschen sind keine Matratzen mit hundert Tagen Rückgaberecht, die probiert man nicht aus und schaut, wie zufrieden man ist, und wenn die nicht well performt, dann wird sie abgeholt, kostenlos natürlich, und verbrannt, weil eine Matratze, auf der schon jemand lag, niemand anderes mehr haben will. « (159)

 

With or without you

Ein bisschen macht es ja auch Spaß, das Zu-Tode-betrübt-Sein, Übertreibungen und Verfluchen, Meckern und Wehmut. Alles extrem. Und schließlich beginnt man zusammen mit Alex aufs Neue zu begreifen, dass jeder Bruch auch eine Chance ist. Eine Neuverortung und Zwangsvollstreckung des Lebens. Hat man den*die Partner*in nicht einfach verklärt, sich ständig verbogen? Woher kommt sie, die Sucht nach Bestätigung? Ist es wirklich so schlimm, allein zu sein? Wer bin ich ohne dich? Und wem will ich hier eigentlich gefallen?

»Ich bin wie eine leere Turnhalle, in der jemand laut schreit, alles müffelt nach Angst und Schweiß, bisschen eklig, der Mattenwagen steht mittendrin, draußen regnet’s, alles dramatisch und echt unangenehm. Jenny ist ein Haus, eine Festung aus Teflon und Blei, nichts kann ihr was anhaben, kein Schmerz, kein Hass und die Liebe erst recht nicht.« (151)

Katrin Weßling schafft es, jede Menge Fragen zu stellen, die sofort auf die Leserschaft zurückgeworfen werden. Bei aller Tragik und Tragweite beweist sie auch hier wieder Humor und einen Hang zu herrlich-absurden Vergleichen in trocken-lakonischem Ton wie diesen: »Hoffnung ist wie eine Wand aus Frischhaltefolie, mit der man eine Lawine aufhalten will. Hoffnung ist wirklich so ein Dreck.« (12)

Die Lösung ist eben nicht, zu warten, bis die Zeit die Wunde geheilt hat, sondern den Weckruf für Veränderungen zu nutzen. Alex muss selbst Jennys Arm aus seiner Brust ziehen. Und sein Leben neu ausrichten, Entscheidungen überdenken. Es ist auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden und Verantwortung für sein Leben übernehmen. Ein hochemotionales Buch, das einen runterzieht und dabei trotzdem nicht schlecht unterhält, versprochen!

»Man ist nicht drüber hinweg, auch, wenn das so ein selten blöder Ausdruck ist, denn eine Trennung ist kein Hindernis, über das man springen kann, man kann gar nicht darüber hinweggehen, man muss sogar im Gegenteilmitten durch, durch die ganze Rotze, den ganzen Schmerz, die ganze Angst, die schlaflosen Nächte, dieser ganze menschliche GAU, der man dann ist, das muss man aushalten und sich durch die Trennung wühlen und kämpfen wie durch einen Berg Schutt und Asche mit einem Teelöffel. Ich schreibe ihr nicht, weil ich noch immer hier stehe, mit dem Löffel in der Hand, weil ich gerade erst angefangen habe, den ganzen riesigen Berg abzutragen, und immer noch voller Angst bin vor dem, was dahinter auf mich wartet, mich immer noch lieber einfach zusammenrollen und heulen will, aber so läuft das nicht, ganz im Gegenteil und eigentlich auch: zum Glück.« (213)

 

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Kathrin Weßling »Nix passiert« umfasst 240 Seiten, erschien am 31.01.2020 bei Ullstein fünf und kostet als Paperback 18,00 €.

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