Literatur
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Zsuzsa Bánk »Schlafen werden wir später«

»Schlafen werden wir später« ist ein moderner Briefroman, also ein Emailroman, zwischen den beiden Freundinnen und Mitvierzigerinnen Márta und Johanna. Zsuzsa Bánk gelingt ein überwältigend herzerwärmender Roman, sie bietet einen unendlichen, minutiösen Detailreichtum und erschafft ganze Leben, was dazu führt, dass man den zwei Protagonistinnen so nah wie guten Freunden kommt und beglückt wird von deren bedingungsloser Liebe!

Zsuzsa Bánk macht den Briefroman wieder salonfähig!

Diese unzähligen kurzen Briefe, die eine Zeitspanne von drei Jahren erfassen und die jeder auch für sich stehen können, erzählen auf der einen Seite von den Existenzängsten einer Schriftstellerin mit ungarischen Wurzeln, der Belastung durch drei kleine Kinder, von Eheproblemen, dem Vermissen der besten Jugendfreundin, dem Sehnen nach einem besseren Leben, dem anklopfenden Tod, manchmal schleichend, manchmal sehr plötzlich, dem Leiden an zu erfüllenden Rollen und zu wenig Unterstützung. Auf der anderen Seite der Briefreihe steht die promovierende Deutschlehrerin Johanna, die an ihrem kinderlosen Singleleben leidet, die nicht über ihren Ex hinweg kommen kann, über ihre Markusmelancholie, die sich in die Provinz des Schwarzwaldes zurückgezogen hat, dort zwar ihren Krebs überwinden konnte, aber eine nächtliche Todesangst nicht hinter sich lassen und ihren toten Eltern nicht vergeben kann.

»Dieses Leben, Márta, da liegt es also vor uns. Und was fangen wir zwei nun wirklich damit an? … Unsere Tage reihen sich auch ohne unser Zutun aneinander. … Unbekümmert, ungerührt davon, was wir anstellen, zerfließen unsere Tage. Sie zerbröseln. Ob wir unser Leben verpasst haben, wissen wir vielleicht erst, wenn wir tot sind. Und uns fragen, oh, das war es also schon?

Morgen beginnt der Sommer. Halt Ausschau, versäum es nicht.« (S. 56)

Im Grunde zeihen diese Briefe Bilanz, resümieren über diese zwei halb gelebten Leben, zwar sind da noch Träume, aber auch bereits viel Resignation – jede für sich verzweifelt immer wieder neu am Leben und der Welt, kann sich dann aber darauf verlassen, von der anderen auf die herzlichste Art wieder aufgerichtet zu werden, gegenseitig machen sie sich immer wieder aufs Neue Mut und Lust aufs Älterwerden. Trotzdem gibt es eine Tendenz zu Molltönen, beide neigen sehr zu Tränen, beschäftigen sich mit ihren Ängsten, kleineren Weltenden und dem Tod. Über allem schwebt die Schwierigkeit, für Wichtiges genügend Zeit aufzubringen. Zum Schlafen reicht sie jedenfalls nie. Viel geht es um Alltägliches, was aber niemals langweilig wird, da es Bánk gelingt, kluge Beobachtungen zu machen, poetische Bilder zu finden und im Kleinen das Große anklingen zu lassen. Johanna und Márta erzählen sich vom Jetzt, werfen Blicke auf ihre gemeinsame Vergangenheit und entwerfen sich ihre Zukunft. Nie werden sie müde, Fragen zu stellen, sich zu wundern und zu staunen.

Auf die Freundschaft, das Leben und das Wort!

Es handelt sich bei den beiden Freundinnen um maximal stillgestellte Protagonistinnen, um Briefeschreiber, es liegt in der Natur der Sache, dass die Handlung des Romans zwischen den Zeilen liegt, was passiert, passiert zwischen zwei Briefen und wird lediglich berichtet. Dabei entsteht kaum ein voranschreitender Plot, nur wenige Handlungsstränge tauchen auf und gehen in der Flut der Briefe bald wieder unter. Das alles stört aber nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil, der Roman ist überaus konsequent, stringent und überzeugend. Die Figuren werden nicht eingeführt, sie stellen sich nicht vor, da sie sich bekannt sind, Andeutungen werden nicht immer erklärt. Deshalb erscheinen sie auch so authentisch, so lebendig.

Präsentiert werden zwei literaturbegeisterte und Literatur lebende Frauen. Sie streuen häufig belletristische, lyrische Zitate aus Klassikern bzw. dem fiktiven Werk Mártas in kursiv ein, sie spielen mit Sprache, drücken sich sehr gewählt und umwerfend schön aus, bilden viele sympathische Neologismen und kreieren eine ungeheure Nähe.

Häppchen oder Brocken?

»Schlafen werden wir später« hält sprachliche Pralinen bereit, Bánks Roman lässt sich am besten in mundgerechten Häppchen genießen, ist weniger zum Hintereinander-Weglesen gedacht, denn dann zieht er sich doch sehr und wirkt ermüdend. Die richtige Rezeptionshaltung wäre vielleicht eine Art Annäherung der erzählten Zeit und der Erzählzeit, sich monatelang mit dem Roman zu beschäftigen, ihn immer wieder liegenzulassen und nicht zum Ende kommen zu wollen, sondern einzelne Stückchen zu genießen, durch die Briefe zu schmökern, die Briefe seine eigenen Tage leiten und begleiten zu lassen. Das doch recht umfangreiche Buch als Roman an einem Stück lesen zu wollen, kann ihn ein wenig bitterer und zäher werden lassen, als er es verdient hat. Das Ende wird trotzdem unaufhaltsam näher kommen und das stimmt einen dann doch sehr melancholisch, denn inzwischen meint man, die beiden Frauen zu kennen und sie nicht mehr einfach gehen lassen zu können… Ich werde den Roman definitiv nicht zum letzten Mal in die Hand genommen haben!

Fazit

Die größte Stärke dieses Briefromans ist die unfassbare Nähe, die erzeugt wird. »Schlafen werden wir später« wirkt so überzeugend authentisch, weil kein überbauender dramaturgischer Plotbogen gespannt wird, alles scheint einfach aus dem Leben gegriffen mit einer ordentlichen Portion Poesie. Die beiden »schlafhungrigen« Freundinnen berühren einen und schon bald wünscht man sich nichts mehr, als selbst jemandem so nah sein, solche Briefe zu schreiben und zu erhalten.

»Du glaubst gar nicht, Du ahnst nicht einmal, wie sehr ich mich auf Dich freue, Du bist mein Ankerplatz in diesem durchgeknallten, sich wild überschlagenden Ozean des Lebens, mein Treibholz, das ich fest umklammere.« (S. 560)

»Schlafen werden wir später« von Zsuzsa Bánk umfasst 688 Seiten und erschien bei S. Fischer, im HC bereits im Februar 2017 für 24,00 €, als Taschenbuch ist der Roman seit April 2018 für 12,00 € erhältlich.

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