Literatur
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Lotta Elstad »Mittwoch also«

»Vielen Dank, aber ich bin eigentlich hier, um kurzen Prozess zu machen. « (7)

Hedda ist Anfang dreißig und ungewollt schwanger. Eine schnelle Lösung muss her, sie will kurzen Prozess, doch sie hat ihre Rechnung nicht mit dem norwegischen Gesundheitssystem gemacht, dass eine Bedenkzeit von mehreren Tagen vor einer Abtreibung vorschreibt. Und die gehen ihr wirklich an die Nieren…

Odyssee durch Europa

Eigentlich wollte sie vor ihren Problemen fliehen. Weg von Lukas, ihrer Langzeitaffäre Slash großen Liebe, der dieses Mal seinen Standardsatz »Das ist das letzte Mal, dass wir das machen« tatsächlich ernst gemeint und sie verlassen hat. Obwohl – »Wie kann man etwas beenden, das gar nicht angefangen hat«? Und auch der Job als feste freie Journalistin ist von heute auf morgen futsch. Warum sie nicht erstmal mit ihrer besten Freundin Kika spricht, weiß Hedda selbst nicht so genau. Jedenfalls will Hedda nichts wie weg und bucht sich einen Last-Minute-Flug nach Griechenland, der in einem Beinaheabsturz in Sarajewo endet, ihre Koffer sind derweil schon in Athen angekommen.

»Ein dubioser Billigflieger auf dem Weg von Oslo nach Athen ist heute Nachmittag abgestürzt, unter den Opfern auch eine 33-jährige Frau mit Herzschmerz, die Letzte ihrer Art.« (33)

Auf einer Irrfahrt quer durch Europa geht es für die verwirrte Protagonistin zurück nach Oslo, allerdings mit einer folgenschweren Entgleisung in Berlin. Hier lernt sie den nervtötend plappernden Milo kennen, ein Lebenskünstler und Vagabund, der in seinem Wohnmobil lebt und nur in CAPS LOCK schreibt. Aus einer Laune heraus lässt sich Hedda auf einen One-Night-Stand ein und sieht sich schon bald mit viel größeren Problemen konfrontiert als vor ihrer Abreise.

 

 

»›Du nimmst die Pille, oder?‹ Ich antwortete: ›Dass du mich das überhaupt fragst, ist eine Beleidigung.‹« (73)

Leider nicht so regelmäßig, wie es die Packungsbeilage nahelegt. Und so wird Hedda also schwanger: »Ich bin der Natur in die Falle getappt. Ich bin ein nakroleptischer Brutkasten.« (145)

»Das hier ist vor allem eine Frage der Praxis, oder? Irdisch und alltäglich und nicht annähernd ein Wunder. Wo soll ich denn einen Wickeltisch hinstellen? Wo soll dieses Phänomen denn hin? Hier drin habe ich nicht mal Platz, dicker zu werden. Jedes Mal, wenn ich mich nach der Shampooflasche strecke, würde ich die Wände einreißen…« (90)

Drei Tage lang gezwungenermaßen über eine Abtreibung nachdenken, was soll das bringen? Besonders wo die Zeit in diesem Fall gegen einen anrennt. Und außerdem ist sich Hedda doch sicher, sie ist keine Mutter. Und sie ist ansonsten ja schon eher der wankelmütige, verdrehte Typ.

»Meine Füße tragen mich Richtung Entscheidung, sie übernehmen die Kontrolle, und ich lasse mich einfach treiben, als wüsste ich, was ich hier tue, als wäre ich ein Mensch, der daran gewöhnt ist, das zu tun, was er will, und nicht das Gegenteil. Als wäre ich nicht der Typ, der 45 Kronen für ekelerregende Kaffeespezialitäten bezahlt. Als wäre ich nicht der Typ, der sich ein Bier ausgeben lässt, obwohl er lieber Cocktails mit Chili trinkt. Als würde ich meinen Friseur in Mandal nicht anlügen, um keine peinliche Stille entstehen zu lassen, als würde ich keine SMS verschicken, die ich in der nächsten Sekunde bereue, als wäre ich kein unschlüssiger, trotziger und schlechter Mensch, der nicht einen klaren Gedanken denken kann. Drei Tage nachdenken? Die Gedanken aufhören lassen, genau darum bitte ich.« (139)

Erst weigert sich Hedda nachzudenken, dann packt sie die Panik, dann die lähmende Entscheidungsunfreudigkeit und schließlich übernimmt die Irrationalität Besitz von ihr und sie befördert sich mit vier Litern Aloe-Vera-Saft und einer Überdosis Anti-Baby-Pillen ins Krankenhaus.

»Er hatte keinen Plan davon, was es bedeutet, ein akutes Problem in sich wachsen zu wissen, vom Körper erschaffen, aber ihm trotzdem fremd; ein Parasit. Der sich von dir ernährt, an dir zehrt, von dir lebt, den du im einen Augenblick ablehnst, im nächsten festhälst. (…) Haben Sie jemals erwogen, Teer zu essen? Benzin zu trinken? Bleichmittel?« (219)

Als Freelancerin in einer sehr illegal untervermieteten Wohnung in einem illegal ausgebauten Dachboden ist Hedda drauf und dran, alles zu verlieren…

»Denn die Dinge verschwimmen so schnell, ein Freelancer weiß das, ein Freelancer weiß, dass der Abgrund gefährlich nah ist.« (28)

 

 

Zwei Mansplainer sind zwei zu viel

»Ich zu Kika: ›Alle Männer mansplainen, es kommt nur darauf an, was sie einem erzählen‹« (22)

Sowohl Lukas als auch Milo erweisen sich als unerträgliche Egomanen und Klugschwätzer. Hedda begreift sich jeweils in Relation zu den beiden: Lukas erhöht sie – »Ich: eine Jenny Marx. Eine Vera Nabokov. Eine Alma Hitchcock.« (23) – und Milo wertet sie ab. Warum sie es mit ihm aushält, mit ihm spielt, unklar. Die hyperaktiven Milo’schen Wortschwalle wie den folgenden lässt sie kommentarlos über sich hinwegrauschen, denn: »Ich beschloss früh, im Umgang mit Milo nach der Vorschrift des amerikanischen Militärs zur Homophilie zu operieren. Don’t ask. Don’t tell.« (176):

»Italien? Ein wunderschöner Albtraum. Griechenland? Die Griechen bräuchten einen Staatschef mit Arsch in der Hose, und die Portugiesen? … Zu Portugal könnte er nichts beitragen – aber die Spanier hätten sich die Schuld nur selbst zuzuschreiben. ›Ich meine, die haben sich Geld von Banken geliehen. Die Bank ist die letzte Instanz, von der man sich was leihen sollte! Familie: check. Freunde: check. Dein Boss: check. Aber von der Bank?! Was für Trottel.‹ … Deutschland müsse die Eurozone verlassen (›einzig logisch‹), und Julius Caesar war ein Reformator, kein Tyrann (›typisches Missverständnis‹) und Donald Trump würde die Wahl sicherlich gewinnen. ›Politiker sind wie Leihmütter‹, sagte er, ›und Hillary Clinton hat einfach zu oft die Frisur gewechselt.‹« (172)

Auf diese Art führt der Roman ein schier unglaubliches Arsenal an unnützem Wissen, wilden Theorien und dummen Sprüchen ins Feld.

»Norwegen ist echt das beschissenste Land, um pleite zu sein.« (171)

So stolpert Hedda durch ihr Leben und schließt sich für eine Weile Milo an, der den Gelderwerb zur Kunstform gemacht hat und mit den abwegigsten Ideen aufwartet. Eine so witzige wie wahnsinnige Protagonistin entpuppt sich hier, so zum Beispiel, wenn Hedda googelt: Was, wenn er nicht antwortet? Abtreibung nach Woche zwölf? Erotische Paranoia. Die Suchergebnisse und Foreneinträge bei GoFeminin sind erschreckend.

Immerhin wächst da ein Klumpen Unheil in ihr heran und alles, woran Hedda denken kann, ist ihr Verflossener und ob sie ihm vielleicht mit Einstein beikommen kann. »Mittwoch also« ist schnippisch, verquer, launig und enorm anregend auf jeglicher Ebene mit einem schwarzen Sinn für Humor. Ein feministisches Statement und eine schelmenhafte Auseinandersetzung mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

»Alles, woran ich dachte: wie er abspritzte, sich zur Seite rollte, einschlief. War ich so erbärmlich? War es mein Bäuchlein? Meine Schamlippen? War er sauer, weil ich keinen Orgasmus hatte? Na klar, Männer wollen Frauen, die jauchzen und beben und vaginal johlen. Oder andersrum. Männer wollen Frauen, die sich zurücknehmen, die sich selbst für Trophäen halten. Deshalb wollte ich ihn ärgern. Ihm die Tausende von Jahren Unterdrückung der Frau heimzahlen, und dass er mich ständig mit ›Ich meld‘ mich‹ zappeln lässt. Ich weiß noch, wie ich in den Morgenstunden dalag und dachte: Ich wette, dass er Musicals hasst. Also weckte ich ihn mit ›Good Morning Starshine‹ aus Hair.« (114)

 

»Schachkommentatoren warnen davor: Wenn man zu lange nachdenkt, macht man am Ende nur einen absurden Zug ins eigene Verderben.« (222)

»Mittwoch also« ist edgy, mutig und aufregend anders. Hedda ist intellektuell gebildet, mindestens so gestört wie Eva Gruber aus Angela Lehners »Vater Unser« und echt strange in ihrem Verlangen, ihr Ding zu machen und sich gleichzeitig an Typen zu hängen, die sie entweder wie Scheiße behandeln oder sie so nerven, dass sie sie wie Scheiße behandelt. Eine, die ihre antrainierten Speckröllchen und ihre Neurosen feiert und diese Wörter, die etwas sehr Spezielles meinen und nur in einer einzigen Sprache existieren.

»Tatsächlich genoss ich es sogar, endlich die 30 zu überschreiten und die ersten Fettpölsterchen zu entdecken, die sich über meine Jeans wölbten. Ich hatte Sex mit dem Ex, der mir früher mit seinem Geschwärme für meine schlanke Taille auf die Nerven ging, und ich weiß noch, wie ich dann triumphierend auf ihm saß: stolz und schadenfroh, als wäre der Speck meine Unabhängigkeitserklärung.« (30)

Hedda ist Witz und Chaos, Cleverness und Katastrophe, selbstbewusst und selbstbestimmt, verwirrt, widersprüchlich, trotzig und hedonistisch. Von so einer will man mehr!

 

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»Mittwoch also« von Lotta Elstad, übersetzt aus dem Norwegischen von Karoline Hippe, umfasst 304 Seiten und erschien am  22.08.2019 bei Kiepenheuer&Witsch. Die gebundene Ausgabe kostet 18,00 €.

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