Anderswo
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#fbm18 – Die Welt zu Gast in Frankfurt

Ich war letzte Woche drei Tage lang auf der 70. Frankfurter Buchmesse und möchte euch gern an einigen meiner Eindrücke und Highlights teilhaben lassen.

Mein Laufzettel war ziemlich voll, schließlich war die Star-Dichte enorm, so viele Lesungen, Diskussionen, Preisverleihungen, die ich sehen und Verlagsstände, die ich besuchen wollte, die Buchmesse ist an mir vorbeigerauscht und hat vieles in mir angestoßen. Ohne Ende wurde gelaufen, gelesen, gestaunt, gelaufen, geredet, gestresst, gedrängelt, genetworkt, gelaufen, geklatscht, getratscht, gesmalltalkt, getrunken, gelaufen, getanzt, gefeiert… Auf der größten Buchmesse der Welt darf man sich keine müden Füße erlauben und auch Schlange stehen, angerempelt werden, durch Menschenmassen schlängeln, quetschen, schlechtes überteuertes Essen und Toiletten suchen gehören nun einmal dazu. Dieses Jahr sind insgesamt immerhin 285.000 Menschen durch die Messehallen geströmt. Während der Privatbesuchertage war das Gedränge dann aber kaum noch erträglich, so war z. B. kein Reinkommen mehr in den schönen neuen Frankfurt Pavillon, der optisch zwischen Organ, Skelett und dem Bauch eines Wahls schwankt. Besonders technik-affin und hochmodern wollten sich die Veranstalter geben, mit einem Aufgebot an Bots, Hologrammen, VR und Themen rund um die Digitalisierung.

Meine Ausbeute: Ich bin mit neuen Büchern, Beuteln, Karten, Zeitungen, Stickern, Eindrücken, Ideen, Gewissheiten, Bekanntschaften und vor allem Bücherwünschen wieder nach Hause gefahren und freue mich schon jetzt auf die nächste Messe und hoffentlich viele Wiedersehen.

 

»I’m on the same page«

Die FBM18 stand ganz im Zeichen der Menschenrechte. 70 Jahre ist die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nun alt und es ist heute wichtiger denn je, uns dieses Fundament für Humanität, Gleichberechtigung und Demokratie in Erinnerung zu rufen.

 

Ehrengast Georgien

Unter dem Motto »Georgia – Made by Characters« präsentiert sich das Land am Kaukasus vielfältig. Die 33 mit literarischen Zitaten versehen Buchstaben des georgischen Alphabets schmücken den Pavillon als erfahr- und begehbare Kunstwerke.

 

 

 

Deutscher Buchpreis 2018

Gratulation an Inger-Maria Mahlke mit ihrem Roman »Archipel«! Die junge Autorin sagt, dass sie Kausalitäten misstraut. Als Konsequenz erzählt sie ihren neuen Roman rückwärts und schafft eine aufwendige Komposition. Denn die Vergangenheit ist eigentlich unsere Gegenwart, indem sie sie hervorbringt.

»Archipel« erzählt von hundert Jahren europäischer Geschichte, von Korruption, Freundschaft und Familie und blickt von der Insel Teneriffa aus. Eine vielversprechende Autorin, die den Unterschied zwischen einem Buch und einem Joghurt feiert.

 

Denis Scheck: Best-of »Druckfrisch«

Wie immer verkündet Scheck mit seiner bonbonrosa Krawatte nach einer ganzen Reihe genüsslich vorgetragener Verrisse, dass die SPIEGEL-Bestsellerliste getrost vergessen werden könne. Nach einer schnellen Abhandlung von Hochs und Tiefs seines Lesejahres – der neue Roman der viel gelobten Nino Haratischwili sei vollkommen missraten, Svenja Flaßpöhlers #Metoo-kritische feministische Streitschrift dagegen eine Offenbarung, genau wie die gesammelten Essays von David Foster Wallace, die neuen Hanser-Ausgaben von fünf Philip Roth-Titeln, Literaturnobelpreisträger der Herzen, und Lisa Hallidays »Asymmetrie« seien ein Genuss und der Bildband »Edison« von Torben Kuhlmann sehr klug und nichts für Kinder. Wichtigster Titel der aktuellen Herbstprogramme: Dörte Hansens zweiter Roman »Mittagsstunde« – kommt er zu Fazit und Maxime allen Lesens: Im Notfall könne man sich immer an die Lyrik halten, sie sei der Anfang der Kultur und werde auch ihr Ende sein, und vertrauen solle man niemandem, stattdessen sei es unabdingbar, eine eigene literarische Intelligenz zu entwickeln. Hört, hört! Na dann, ran an die Bücher!

 

Literaturkritik im digitalen Zeitalter

Ist Literaturkritik in Blogs eine Revolution und Befreiungsschlag gegen bornierte, exklusive bildungsbürgerliche Feuilletons!? Oder ist diese Abgrenzung dünkelhaft und ohnehin bald hinfällig? Wird mit dem Rücken zum Publikum rezensiert? Oder ist die Literaturkritik längst modernisiert und findet im Dialog auf Augenhöhe statt? Wie auch immer die Dinge liegen mögen – wahrscheinlich nicht so einfach und irgendwo dazwischen – ein Blog ist in jedem Fall ein guter Raum, um zu üben wie man mit der Öffentlichkeit spricht bzw. sprechen kann, wie man Komplexe Inhalte pointiert und verständlich runterbricht, um sich in der Grundkompetenz der Wertung, dem Geschmacksurteil, zu üben, welches im akademischen Diskurs so strick herausgehalten wird, außerdem bietet ein Blog mehr Platz als im klassischen Feuilleton, um Bedingungen des Lesens und Wertmaßstäbe zu klären. Das Internet (nicht nur Blogs) erscheint uns wie das neue Weltall: ein unendlicher, imaginierter Raum mit utopischem Potenzial. Unterscheide wie die des dynamischen Gesprächs(-angebots) entgegen einem echofreien abgeschlossenen Statement, des Kritisierens gegen das Empfehlen und ähnliche sind nicht zuletzt Fragen von Macht, Deutungshoheit und Geld. Kränkeln tut es in beiden Sphären. Literaturbetrieb und -kritik werden immer inzestuöser, keiner guckt von außen drauf und so steht häufig auch die Bedingung, es sich mit niemandem zu verscherzen, mit im Ring. Im digitalen Raum fehlt es an einer moderierenden Instanz, die Gespräche sinnvoll lenkt und entemotionalisiert oder empowert.

 

Der noble Literaturpreis der Mayerschen

Der Aachener Filialist füllt mit diesem Preis die Lücke, die der nicht verliehene Literaturnobelpreis in der Buchbranche hinterlassen hat. Korruptions- und Missbrauchsskandal waren Grund für Turbulenzen in der Schwedischen Akademie und das diesjährige Aussetzen des Preises. Der noble Literaturpreis ging nun an Juli Zeh. Sie wurde von den Buchhändlern gewählt, weil sie ihre Leser in jedem ihrer Büche aufs Neu und sehr gekonnt und intelligent überrasche. Zeh freute sich über diese Auszeichnung, sei der Buchhändler doch schließlich so etwas wie der Anwalt der lesenden Masse. Ihr aktueller Roman »Neujahr« scheint weniger politisch als die vorangeganenen, jedoch müsse man die Familie als ein Brennglas für gesellschaftliche Verhältnisse erkennen, wendet die Autorin ein. Mit Kritikern würde sie sich am liebsten auf die altmodische Art duellieren, um sich die vielen Fehdehandschuhe zu sparen, scherzt Zeh.

 

Buch trifft Politik: Das Ringen um politische Fragen und die Freiheit des Worts

Dieses Format hat mich besonders begeistert: Bei »vorwärts« trifft ein Autor auf einen Politiker, diskutiert wird über gesellschaftliche und politische Grundfragen. Was kann Literatur bewirken? Wie muss die Politik auf Themen reagieren? Angriffslustig und sehr direkt hat Lukas Rietzschel (»Mit der Faust in die Welt schlagen«) von seinem Leben in Ost-Sachsen erzählt, von Problemen, Befindlichkeiten und der Wut der Menschen dort. Er will nicht werten, will beobachten. Woher kommt das Gefühl, abgehängt zu sein, übergangen zu werden? Für viele Menschen in den neuen Bundesländern haben sich die Versprechungen der Wende nicht bewahrheitet. Scham, Identitätsverlust und Verstummen sind Begleiterscheinungen und Kernprobleme.

Rietzschel sieht die Politik in der Pflicht, den Menschen zu zeigen, dass sich die viel gelobte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit tatsächlich lohnt, dass der Staat im Kapitalismus seine Bürger beschützt und unterstützt, sie müsse gegen das weitverbreitete Gefühl angehen, dass das jetzige System nur Schlechtes hervorbringe und Politik und Staat längst handlungsunfähig seien. Brennende soziale Themen angehen. Diesem Staat und seinem System wieder seine Berechtigung geben. Diese Fragen und Forderungen bringen Politiker Christian Lange (SPD, Bundestagsabgeordneter) reichlich in Erklärungsnot und Rechtfertigungskaskaden. Literatur wird hier ein Anstoß zum Gespräch und vielleicht ja auch zur Heilung.

 

Bubla18

Die Buchblog-Awards in 9 verschiedenen Kategorien gehen an engagierte Botschafter für das Lesen und Bloggen, die mit Formen experimentieren und Lust auf Lesen machen. Eine ganz eigene Bildsprache, Humor, Emotionalität, Liebe zum Detail und sichtbar werdende Persönlichkeiten hinter den Texten machen die Ausgezeichneten aus. Im Ganzen könne man den Trend erkennen, dass Blogs sich zunehmend politisieren. In der Kategorie Literatur, die mir am nächsten steht, gewinnt »Bücherkaffee«.

 

Young Professionals‘ Day: Nachwuchstage

Hier wurden einige Veranstaltungen speziell für den Branchennachwuchs zusammengestellt. Da wurden beispielsweise vom Verein Junge Verlagsmenschen erstmalig Gütesiegel für die faire und gute Ausbildung von Volontären an Klett, KiWi und Open Publishing vergeben, die durch einen guten und zielführenden Ausbildungsplan, eine angemessene Bezahlung, Perspektiven für die Zukunft der Volontäre und einen Schutzraum zur Erprobung von Eigenverantwortung bei nicht nachlassender Unterstützung und Betreuung überzeugen konnten. Bei vielen Verlagen gerät der Volo leider schnell zur vollbeschäftigten, unterbezahlten Elternzeitvertretung. Außerdem wurden nüchterne Einblicke in abenteuerliche Berufsfeldbezeichnungen wie Communications Manager, CEO oder Relations Manager gegeben.

 

#Metoo, und jetzt?!

Eine der spannendsten und lebhaftesten, ja auch amüsantesten Diskussionsrunden der Buchmesse: Unter dem Motto »Streiterinnen!« debattieren Margarete Stokowski (»Untenrum frei«, »Die letzten Tage des Patriarchats«) und Heike-Melba Fendel über die #Metoo-Bewegung und ihre Zukunft. Über die Kraft, die es kostet, ein Selbstbild der Stärke aufrechtzuerhalten, auch wenn man in eine Opferrolle gedrängt wurde, und die Kraft, die es kostet, Erfahrungen von sexueller oder sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten und anderen anzuvertrauen. Dass Frauen durch #Metoo eine Stimme finden, ist eine wichtige Errungenschaft, über die Frage des Wie sollte allerdings sorgfältig nachgedacht werden. Künstleragentin Fendel warnt vor einer Ausschlachtung durch die Massenmedien, die das Potenzial der #Metoo-Geschichten in Sex und Prominenz sehen, und einem einhergehenden Abnutzungseffekt. Eine »Ich kann’s nicht mehr hören«-Haltung schleiche sich ein, dabei sei es besser von der extremen Sensibilität und Hysterisierung bei diesem Thema zu einer Normalität zu kommen. Der häufigen Kritik nach einer Beschuldigung, warum das Opfer erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Tat an die Öffentlichkeit gehe, setzt Stokowski ganz einfach entgegen, dass noch keine Frau berühmt und erfolgreich durch die öffentliche Anklage eines Sexualstraftäters wurde, positive Aufmerksamkeit gebe es für diese Frauen nicht und Falschbezichtigungen seien ohnehin nur in verschwindend geringer Zahl tatsächlich passiert. Es sei dagegen immer ein Risiko mit einer #Metoo-Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen und nicht selten entstünden den Frauen Nachteile daraus. Immer wieder hört man, dass Männer nun vollkommen verunsichert über korrektes Verhalten gegenüber Frauen sind, das zeigt einmal mehr, dass sich dringend ein modernes Männerbild durchsetzen muss. Mit Quoten oder ähnlichen Eingriffen lasse sich das Grundproblem nicht lösen, stattdessen müsse man an die Wurzel gehen und bei gesellschaftlichen Werten, Erwartungen und der Erziehung ansetzen. Ob nun bei politischen, sexuellen oder ökonomischen Themen, es gehe immer um dieselbe Freiheit, so müsse das Ziel sein, das Machtgefüge aufzubrechen und Ressourcen wie Geld, Zeit und Macht gleichmäßig zu verteilen. Bei der Bewegung gehe es im Grunde darum, jeden ernst zu nehmen und nichts zu tabuisieren. Die Gegenbewegung, dass viele junge Mädchen sich heute wieder vermehrt über Schönheit und Fitness definieren und sich so im Netz inszenieren, reproduziert veraltete Rollenmuster und zeigt, dass die Bewegung noch lange nicht am Ziel ist.

 

Bloggertreffen, Hotlist und Closing Party

Meine persönlichen Highlights waren eigentlich die Begegnungen, die ungezwungenen und euphorischen Gespräche über Literatur und die Welt auf den Bloggerempfängen und After-Partys. Hier seien Suhrkamp und Hanser erwähnt, die den Bloggern eine wundervolle familiäre Atmosphäre schaffen und die man einfach lieb haben muss.

Auf der 10. Hotlist-Preisverleihung am Freitag im Literaturhaus Frankfurt wurden gleich 11 Preise verliehen, sodass wirklich keiner leer ausging. Eine der Ausgezeichneten ist die aspekte-Preisträgerin Bettina Wilpert mit ihrem Debut „Nichts, was uns passiert“ (Verbrecher Verlag). Ein toller Abend, der mir wieder in Erinnerung ruft, mit wie viel Herzblut, Begeisterung und Idealismus die unabhängigen Verlage trotz schlechter finanzieller Basis enorm spannende Titel herausgeben und dass ich viel, viel mehr davon lesen muss!

Die Buchmesse Closing Party am Samstag im Atelierfrankfurt e.V. bildete dann den krönenden Abschluss einer gelungenen Messe. Das MOMEM (Museum Of Modern Electronic Music) und BASSIANI (Club in Tiflis) lieferten feinste Beats, und in einem Sog aus Strobo und Nebel bzw. inmitten eines dichten erblühenden Dschungels konnte die kulturelle Zusammenführung in der Musik gefeiert werden, da georgische Musiker und Gäste als Teil des Ehrengastprogramms mit am Start waren.

 

Und nun bleibt nichts weiter zu sagen, als dass uns alle wohl schon die Vorfreude auf Leipzig vereint!

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