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Katja Lewina begibt sich ins fremde Gehege – »Bock« erzählt Bettgeschichten aus Männersicht

Wann ist der Mann ein Mann?

Nach »Sie hat Bock« jetzt schlicht und einfach »Bock«. Purer Animalismus. Was halten sie vom Sex und welchen haben sie, die Männers? Die Sexbloggerin ist zwar keiner, aber über Sex weiß sie eine ganze Menge, wie sie in ihrem ersten Buch bereits unter Beweis gestellt hat, besonders wenn es darum geht, wie Sex mit Macht, Patriarchat und Küchenarbeit zusammenhängt. Sie hat mit einigen Exemplaren gesprochen, mit Psychologen, Paartherapeuten, Urologen, Philosophen, trans-Männern, Orgasmus-Coaches und mit ganz durchschnittlichen Kerlen. Brauchen Männer Sex wirklich dringender und warum überhaupt diese Schwanzfixiertheit? Hat der Porno uns alle versaut? Und warum wird der Sex in einer Langzeitbeziehung unweigerlich weniger? Vom Baby bis zum Greis betrachtet Katja Lewina einen Prototyp-Mann und wirft einen kritischen – und manchmal auch versöhnlichen – Blick auf Männlichkeitsbilder.

»Eine Sexualität, die dem:der Partner:in nicht gehört – von dieser Idee sind die meisten von uns so weit weg wie ein Leberwurstbrot vom Grill Royale.« (163)

 

 


Boys Don’t Cry

Machismo, Kastrationsangst, toxische Männlichkeit, Alte Weiße Männer, Male Gaze, Homophobie, Misogynie, Rape Culture – wir haben jede Menge Begrifflichkeiten, wenn wir uns dem problematischen Geschlechterbild annähern wollen. Die Krise der Männlichkeit ist längst ausgerufen, aber geändert hat sich wenig. Besonders der ganz alltägliche Sexismus jenseits des altbewährten Pograpschers wird jetzt erst so richtig seh- und beschreibbar mit Wörtern wie Mansplaining, Catcalling, Upskirting, Manspreading, Dickpic, Aziz-Ansari-Situation und der gleichen Ekelhaftigkeiten mehr. Die Frauen sind längst sensibilisiert, politisiert, haben das Feindbild auf Fahnen gemalt, nun ist es an den Männern nachzuziehen. Im 21. Jahrhundert anzukommen. Nur gemeinsam kann das Patriarchat abgeschafft werden.

»Denn einen Penis zu haben, das bedeutet seit vielen Tausend Jahren vor allem eins: Schrillionen von Privilegien.« (22)

Das Problem ist bekannt. Was Katja Lewina jetzt versucht, ist den Gründen auf die Spur zu kommen. Nicht um Verständnis für übergriffige Männer zu entwickeln, sondern um Lösungsansätze auszumachen. Sie kommt zu wenig überraschenden Erkenntnissen: Auch Männer leiden unter den Erwartungen und dem Druck der Gesellschaft, die an „echte Männlichkeit“ gestellt werden. Ihr Mannsein abgesprochen zu bekommen, ist die größte Existenzangst, die in Überkompensation umzuschlagen neigt. Hinter dem meisten Fehlverhalten stehen Verunsicherung und Verlustängste. Wie aber starre, überholte und vor allem ungesunde Geschlechterrollen überwinden? So richtig weiß das keine:r und solange hocken wir wohl alle in unseren Internalisierungs-Käfigen…

»Was Männer aber immer, wirklich immer sind: Opfer anderer Männer und ihrer Männlichkeitsideale.« (181)


Steht euren Mann! Steht auf gegen das Patriarchat.

Auch wenn Lewina Männer zu Wort kommen lässt und immer wieder ausführlich zitiert, schleicht sich der Gedanke ein, ob nicht besser ein Manner dieses Buch geschrieben hätte. Sie kommentiert zwar auf durchaus humorvolle und kluge Art, was ihr erzählt wurde und bindet es ein in ihre Rahmenerzählung eines „Muster-Knaben“, dennoch schreibt sie natürlich mit dem (gerechten) Zorn einer Frau, die den Männern ihre lauwarmen Argumente nicht mehr durchgehen lassen will. So ein Penis ist schon ein verdammt faszinierendes Ding. Das liegt eben in der Natur eines Mannes. Darf man jetzt etwa keine Komplimente mehr machen? Sie hätte ja Nein sagen können. Mann braucht nun mal Abwechslung. Alle erwarten doch, dass Mann die Familie versorgt. Mann kann halt nicht so über Gefühle reden. Am Ende hat man dann aber eine mit Groll aufgeladene Moderatorin dieser Kulturgeschichte des männlichen Geschlechts(verkehrs), die alle Erklärungsmuster vom Tisch fegt und schließlich mit leeren Händen dasteht. Können wir jetzt bitte endlich den reinen Tisch zelebrieren und sein und leben, wie wir wollen?! Schön wärs… »Bock« lässt seine Leserschaft mit wenig Hoffnung zurück. Solange die Hälfte der Menschheit nicht bereit ist, sich zu ändern. Von ihren Privilegien abzugeben, den ganzen sexistischen Kackscheiß sein zu lassen und mit ihren Brudis ordentlich zu reden. Der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit darf nicht länger nur von Frauen geführt werden. Mittlerweile sollten wir verstanden haben, dass alle davon profitieren würden.

»Können auch Männer ›Schlampen‹ sein?«

Katja Lewina tut, was sie gut kann: Tabus und Klischees zerschießen. Ihr Fazit: Wir müssten alle mehr und offener reden. Das ist unterhaltsam und sicher nicht verkehrt, aber auch nicht wahnsinnig neu oder überraschend. Es empfiehlt sich, gleich als nächstes zu JJ Bola zu greifen. Zu Jack Urwin, Nils Pickert oder Linus Giese.

 

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»Bock« von Katja Lewina umfasst 224 Seiten, erschien am 13.08.2021 bei DuMont und kostet im Hardcover 20,00 €.

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