Literatur
Schreibe einen Kommentar

Liebe und Terror in Paris: »Oberkampf« von Hilmar Klute

Ich sollte vorwegschicken, dass Klutes Romandebüt »Was dann nachher so schön fliegt« unter meinen schönsten Lektüren überhaupt rangiert und dementsprechend hab ich mich mit hoher Erwartung und hoher Meinung vom Autor an dieses Buch gewagt, an das ich so viel Vorfreude gehängt habe – so musste es vielleicht unvermeidlich eine Enttäuschung werden.

»Je suis Charlie«

»In Paris wird die Welt nicht untergehen, dachte Jonas und musste über den Satz lachen, weil er wie eine Verheißung klang.« (9)

Jonas, Mitvierziger, Germanist und selbsternannter »Experte für verpasste Chancen« (15), ein Zögerling und Zyniker, der eine gewisse Faszination für eitle Männer hegt und es sich in der Bequemlichkeit des bürgerlichen Alltags kuschelig gemacht hat, will jetzt nur noch eins: nichts wie weg. Seinem mittelmäßigen, lauwarmen, von Langeweile und Desinteresse geprägten Leben entkommen, das er sowohl beruflich in der selbstgegründeten Vermittlungsagentur wie privat mit Ehefrau inklusive Mini-Rosenkrieg vor die Wand gefahren hat. Er ergreift die erstbeste Gelegenheit, sich in ein neues Leben nach Paris zu flüchten. Oder besser gesagt in ein anderes Leben, denn in Frankreich ist er in der Rolle des Biographisten von Richard Stein – ewig unterschätztes literarisches Schwergewicht und Lebemann. Mit ihm führt Jonas beinahe täglich ausufernde Interviews und taucht ein in dessen Literatenleben, das Jonas sich selbst immer erträumt hatte. Paris hält für ihn jede Menge Zweifel und Scheitern bereit, aber auch eine neue Liebe und das frankophile Savoir-vivre – allerdings steht am Anfang von alledem zunächst die Katastrophe, die unter dem Schlagwort »Charlie Hebdo« um die Welt gegangen ist: mordlüsterner Hass, Terror, Unverständnis und Fassungslosigkeit.

»Er sah sich um, die Leute waren immer noch die ungerührten Passanten von eben, obwohl sie durch eine Stadt liefen, in der soeben etwas geschehen war. Eine Stadt, auf die ein Anschlag verübt wurde, war eine verwundete Stadt, so würde es morgen in den Zeitungen stehen.« (32)

 

»Oberkampf«, so heißt das Viertel im elften Arrondissement, in dem Jonas wohnt und in dem auch die Redaktion des Satrireblatts ansässig ist – »Oberkampf« ist in erster Linie ein Parisroman, eine Verbeugung vor der französischen Lebensart, Kultiviertheit, lässigem Eleganz und Kulinarik, obwohl sich die Erzählerfigur durchaus auch kritisch zum französischen Nationalpathos und ihrer Reaktion auf den Anschlag äußert. Außerdem – wie man es von Klute kennt und liebt – eine emphatische Feier der Literatur und das genussvolle Betrachten von Sprache.

»Diese Stadt war auf dem Schutt ihrer Geschichte entstanden. Überall wurde die große Erzählung von der unbezwingbaren Nation abgerufen, die auf nichts anderem gründete als auf Gewalt und Eroberungslust. Und die sich als Gegenzauber den schönen Glanz überzog, den kulturellen Schimmer aus gutem Essen und Trinken, aus Musik und Theater, und die jedem Dichter, der sie feierte, ein großes Denkmal setzte.« (157)

 

Oberkampf: »der Kampf um die Oberhand«

»Die Menschen, die dort wohnen, wo wir jetzt hinfahren, können sich kein Leben leisten und leisten sich deshalb Gewalt.« (186)

Zusammen mit der Französin Christine fährt Jonas schließlich wagemutig raus aus den Gutverdiener-Vorzeigebezirken, die beiden schauen sich wie zwei Elendstouristen auf Zoobesuch die Banlieues an, das Ghetto der Ausgesonderten, ein Bild der Verwahrlosung. Hier ist also der Ort, wo die Gewalt herkommt, »dort, wo die Leute wohnen, die uns umbringen wollen« (184), wo die wilden Kerle wohnen. Soso. Jonas vergleicht die Wut der Armen mit dem Brüllen eingesperrter Zirkus-Löwen –  eine aufdringliche Metapher mit leicht rassistischem Beigeschmack, die einem so auch in der modernisierten Victor Hugo-Adaption »Die Wütenden« begegnet. Der moderne Terror als Französische Revolution 2.0 also, die hier in einen Topf mit dem IS geworfen wird.

»Es sind Naturkatastrophen (…). Es waren natürliche Explosionen wie in einem Vulkan. Der Hass der Zukurzgekommenen entlud sich auf die mit den goldenen Löffeln, ein jahrzehntelang gehüteter und zurückgehaltener Zorn rollte wie Löwengebrüll auf seine Feinde zu, und wenn kein Gitter ihn abhält, zerreißt der Löwe seine Feinde.« (193)

In seinem Versuch, den aus nächster Nähe miterlebten Anschlag zu greifen und zu verarbeiten, macht Jonas eine Reihe von Erklärungs- und Bewertungsanläufen, wobei er in seiner Einschätzungswut zwischen den Extremen schwankt. Eine Unentschlossenheit, die der Text nicht reflektiert und den Lesenden zur Zumutung wird. Ein Schwanken zwischen dem Abkanzeln von Sensationsreportern und dem erklärten Recht auf Informiertheit, zwischen dem eigenen Voyeurismus und dem genervten Herunterspielen des Anschlags. Jonas empfindet Abscheu vor der Fassungslosigkeit, den Ohnmachts- und Opferinszenierungen der Französ*innen, er ist zwar emotionalisiert vom Thema, steht den Todesopfern aber eiskalt gegenüber. Er verteilt Schuldzuweisungen an die ermordeten Karikaturisten und lässt sich zum Verständnis, ja sogar einer Art Faszination für die Täter hinreißen, die er wenig später wiederum hasserfüllt als »Bestien« bezeichnet, denen man nicht länger mit Sanftmut begegnen dürfe, sondern mit »gerechtem Zorn«. Hier schwingt geradezu eine Begeisterung für Gewalt und einen aufziehenden Kampf mit, die Jonas dann wieder in einer allgemeinen Genervtheit ertränkt, ungeduldig, dass das Thema endlich der Vergangenheit und dem Vergessen anheimfällt.

»Hier schwebten Zerrbilder wie falsche Heiligenscheine über der Menge, als Belege für die gemordete Freiheit – Hassbilder, die gegen den Hass stehen sollten, eine verlogene Moralität. (…) Diese Zeichnungen standen nicht für die Unschuld der Künstler, die jetzt überall behauptet und eingeklagt wurde.« (78f.)

Das Buch inszeniert den Anschlag auf Charlie Hebdo zunächst als ein Ereignis, dass eine ganze Stadt »im Herzen Europas« zum Taumeln bringt, das 09/11 Europas, nur um dann wieder betont unbeeindruckte Bürger auftreten zu lassen, die tiefenentspannt ihren Gewohnheiten nachgehen und überhaupt: »Warum sollte das irgendjemanden in Deutschland interessieren?«

 

Die Lieben und Leiden des jungen J.

Schöne Sätze, einfallsreiche Vergleiche, schwebende Bilder, all das findet sich noch immer in Klutes Sound. Aber das reicht nicht für ein gutes Buch. Der größte Vorwurf, den ich dem Text mache, ist dessen Ziellosigkeit. Zum Ende hin verliert sie sich ganz, diese inkonsistente, inkohärente, ausfransende Story, zusammen mit ihrem Protagonisten, der ein unklares bis widersprüchliches Mindset an den Tag legt – nebenbei gesagt, eine kaum erträgliche Figur, ein Fluchtsüchtiger, selbstgefällig, selbstmitleidig und mit prätentiösem Geschmack. Auch der von ihm verehrte fiktive Autor Richard Stein wird immer mehr zum Prototyp Alter Weißer Mann, ein Macho-Intellektueller und Mansplainer, der sein Leben lang eigentlich nur sein eigenes Leben aufgeschrieben und sich selbst bespiegelt hat – eine vor Arroganz strotzende Ichschau. Schon bald hat Jonas dann auch keine Lust mehr auf sein Biographie-Projekt… In Zügen erinnert der Roman hier stark an Kehlmanns »Ich und Kaminski«, spätestens als der Alte seinem Biographisten dann auch noch einen abwegigen Roadtrip aufdrängt. So wird Jonas mehr und mehr zum Spielball zwischen zwei Kräften: seiner Liebhaberin Christine und dem Autor Stein, die beide unterschiedliche Pläne für ihn haben.

Ich war davon ausgegangen (verflucht sei der Klappentext!), dass der Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion den Kern des Romans bilden würde, den Motor der Geschichte, von wo aus dem Warum nachgespürt werden soll, der Essenz unserer Gegenwart. Das Attentat stellt sich dann aber lediglich als Randereignis in einer lahm plätschernden Geschichte heraus. – Der Autor schafft es tatsächlich, dass in seinem Roman zwei Sätze über die Pariser Straßenkehrer besser und klüger sind als die Verhandlung der Bluttat.

Ein Mehr an äußerer Handlung macht dann leider auch nichts mehr besser – eine Irrfahrt durch Kalifornien, um Steins Junkie-Sohn zu finden, der wegen sexueller Belästigung in Schwierigkeiten steckt und der dann doch der Sohn eines anderen ist sowie Jonas Ex-Arbeitskollege Fabian, der ihm seine Ex-Frau Corinna ausspannt und dann unerwartet stirbt (Fieber, Koma, Tod) – eine Beschränkung auf Paris, die wichtigsten Figuren und eine interessierte gesellschaftliche Umschau hätte dem Roman besser zu Gesicht gestanden.

Zwar ist auch in Klutes zweitem Roman sein Talent und seine Fabulierfreude unübersehbar, dennoch kommt er mir textlich teilweise unsauber gearbeitet vor, besonders durch Wiederholungen, die nicht stilsicher wirken, sondern wie Rohmaterial – ähnlich wie Jonas, der sein biographisches Interviewbuch nur abtippt, aber nicht überarbeitet und poliert. Und dann sind da doch wieder so großartige Sätze wie diese:

»Jonas versprach, am kommenden Tag um die gleiche Zeit aufzuschlagen. Jonas hätte das Wort ›aufschlagen‹ gegen jeden Sprachpuristen verteidigt. Denn die Begegnung mit Stein hatte – jenseits aller Höflichkeiten – das Zeug dazu, eine harte Angelegenheit zu werden.« (99)

An der Art, wie der Roman sich über Literatur auslässt, ist unschwer zu erkennen, dass hier ein wacher, wortgewandter, geübter und wertschätzender Feuilletonist – ein Journalistenautor am Werk ist. Leider, leider verschenkt er hier aber sein Potenzial mit einem Buch, dem ganz und gar nicht klar ist, was es eigentlich will.

 

Anzeige:

»Oberkampf« von Hilmar Klute umfasst 320 Seiten, erschien am 20.08.2020 bei Galiani Berlin und kostet als gebundene Ausgabe 22,00 €.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert