Hörbuch
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George Orwells »Farm der Tiere« zum Hören

Jürgen Liebing hat sich des Orwell’schen Klassikers angenommen und als Hörspiel adaptiert.

Ein Gespenst geht um, es ist der Animalismus – Die Revolution der Tiere

Aufstand auf dem Bauernhof. Nachdem die Tiere – allen voran Major, ein betagter Eber an seinem Lebensabend – erkannt haben, dass ihr Leben um einiges besser wäre, wenn sie nicht für Menschen schuften müssten, um sogleich wieder um die Früchte ihrer Arbeit betrogen zu werden, steht es fest: Der Farmbesitzer Jones muss weg. Die Zweibeiner sind der Feind.

»Vorwärts, Kameraden!«

Da die Schweine einfach die schlausten Tiere des Hofs sind, ist klar, dass sie die Organisation in die Hand nehmen. Revolution machen. Aber vorerst muss man sich eines gemeinsamen Ideals klar werden. Wie soll sie sein, die bessere Welt der Zukunft? Animalismus nennen sie ihre Ideologie, die alle Tiere gleichstellen soll. Frieden, Freiheit, Schutz der Schwachen stehen auf der Agenda, und vor allem: niemals so werden wie der Feind. Und dann ist der Tag der siegreichen Großen Schlacht am Kuhstall gekommen und die Vertreibung des Unterdrückers durch Bisse, Tritte und Gezeter.

Was sodann seinen Lauf nimmt auf der proklamierten »Farm der Tiere«, ist ein Abbild und Schnelldurchlauf der menschlichen Geschichte: es bilden sich Bürokratie, Politik, Demokratie, Fortschritt und Diplomatie heraus, Etablierung einer Führung, Parteiwesen, Enteignung, Strafwesen, Geheimdienste und dann braucht es nicht mehr viel bis Verrat, Macht und Manipulation Einzug erhalten; Krieg und Feindbilder zerfressen schließlich das utopische Ideal. Die Revolution der Tiere scheitert letztendlich aufgrund von Machtmissbrauch. Nach Napoleons Putsch und der Vertreibung und Diskreditierung seines politischen Kontrahenten verschlechtert sich die Lage der Tiere zusehends – zumindest all derer, die keine Schweine sind. Essensrationierungen, Arbeitsschichtverlängerung und Einbüßen des Mitspracherechts, all das bringen die Tiervertreter, die Schweine, mit dem Angstmacher und Totschlagargument »Ihr wollt doch nicht, dass Jones wiederkommt!« durch.

»Es lebe die Farm der Tiere!«

Die Kontrolle von Informationen und Bildung stellt sich als der zentrale Schlüssel zu Herrschaft und Macht heraus. Die unerlässliche Mündigkeit aller, Mitspracherecht und Regulierung bzw. Gewaltenteilung – auf all das sind die Revolutionäre am Anfang noch ganz erpicht und diese entpuppen sich als unverzichtbar für eine freiheitliche Gemeinschaft. Als diese Grundfeiler jedoch verloren gehen, mutwillig von einer immer mächtiger werdenden Führerfigur außer Kraft gesetzt, ist die Tyrannei zurück.

 

Die Herrschaft des Schweine-Systems

Die Prinzipien des Animalismus sind verraten, Privilegien für alle Schweine des Hofs, Tyrannei und Ausbeutung der anderen Farmtiere sind die Folge. In logischer und letzter Konsequenz stehen die Schweine eines Tages auf zwei Beinen, bewohnen das Farmerhaus und laden die Bauern der umliegenden Höfe zu Partys und Verhandlungen ein. Alle Regeln und Grundsätze ihres einst glühenden Ideals vergessen oder für sich zum Vorteil umgeschrieben.

»Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.« (S. 113)

Die Geschichte entpuppt sich als zyklisch. Die »Farm der Tiere« wird wieder umbenannt in ihren ursprünglichen Namen »Herrenfarm«, doch nun steht nicht mehr nur ein einzelner Bauer Jones an der Spitze der Ausbeutung, sondern ein ganzes Netz von profitgeilen Schweinen, die auch noch in Konkurrenz und Handel mit den umliegenden Farmern getreten sind. Statt eines Zyklus könnte man von einer Spirale des Untergangs sprechen, bei der für die unterdrückte Mehrheit alles immer schlimmer wird.

»Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.« (S. 119)

Orwells tierisches Märchen spiegelt nicht nur die Entwicklung einer politisch organisierten Lebensgemeinschaft wider und führt die Mechanismen und schleichenden Prozesse von Revolution und Machtstrukturen vor Augen, sondern stellt auch ganz grundlegende philosophisch-politische Fragen: Was ist Freiheit? Wie kann man das Zusammenleben organisieren? Was ist natürlich? Was lebenswert? Ist das Prinzip Fortschritt immer auch Rückschritt? Wie geht man mit dem unnatürlichen Wesen der Arbeit um?

 

© Der Audio Verlag

Fazit: Es summt, brummt, grunzt und singt

Die Vielstimmigkeit der Revolutionäre schlägt sich in der Hörspieladaption in vielen Erzählerstimmen nieder, die sich stetig abwechseln – ein wirklich passender und gelungener Einfall. Fast die ganze Geschichte wird in Form von Plenumsszenen und Redebeiträgen erzählt, durchzogen von choralen Gesängen der »Tiere Englands« – eine Art Internationale, die an Marschmusik erinnert und die Revolutionäre einen soll, am Ende jedoch zum Sinnbild der Gleichschaltung wird.

George Orwells bitterböse Satire ist witzig und zynisch, eine Fabel auf jeglichen Totalitarismus. Kurzweilig, leichtfüßig und absurd, aber immer klug beobachtet, eine scharfe Kritik auf Vergangenheit und Gegenwart. Die Neuauflage des Hörspiels von Jürgen Liebing hat den Klassiker und Welterfolg auf denkbar schöne Weise in einer eigenen Klangwelt erneuert. Ein ganzes Aufgebot an tollen, vor allem vollmundigen männlichen Stimmen, unter ihnen der große Otto Sander, veredeln das Hörerlebnis.

Im Vergleich mit der Buchvorlage fällt auf, dass für die Adaption extrem gelungen gekürzt wurde. Das Hörspiel bringt die Essenz des Textes auf den Punkt und schafft es, Plot und Atmosphäre gekonnt zu destillieren. Ein kurzweiliger, unterhaltsamer und nachdenklich stimmender Hörgenuss!

»Doch zumindest von dem Unsinn, die Freiheit gegen den Faschismus zu verteidigen, wollen wir nichts mehr hören. Falls Freiheit überhaupt irgendetwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.« (S. 132, aus dem Nachwort des Autors)

 

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Die Neuauflage des Hörspiels von Jürgen Liebing ist eine Adaption von George Orwells »Farm der Tiere«, gesprochen von Otto Sander, Bernhard Minetti u.v.a. Eine Produktion von RIAS Berlin 1980, lizenziert durch Deutschlandradio. Diese Neuauflage erschien am 22.03.2019 bei Der Audio Verlag, umfasst 1 CD à 57 min. und kostet 12,00 €.

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