Literatur
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»Das Feld« von Robert Seethaler

»Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das? Die einen verstehen vom anderen nichts. Es gibt Ahnungen. Und es gibt Erinnerungen. Beide können täuschen.« (S. 234)

Der Tod fasziniert und ängstigt uns, und gerade Friedhöfe, diese speziellen Anderorte, schaurig-schöne Gedächtnisräume, auf denen dicht an dicht die verschiedensten Epochen, Milieus und pralle Lebensgeschichten aneinandergereiht liegen, sich beinahe berühren, reizen die Vorstellungskraft.

Wenn die Toten reden könnten, was hätten sie zu sagen?

Das hat sich auch der mit zahlreichen Preisen dekorierte Wiener Gegenwartsautor Robert Seethaler gedacht, der nach Titeln wie »Der Trafikant« und »Ein ganzes Leben« nun seinen neuen Roman »Das Feld« nicht nur auf einem Friedhof ansiedelt, sondern regelrecht die Toten in kurzen Episoden zum Sprechen bringt.

Der selbst stark gealterte Protagonist, dem Seethaler die beiden rahmenden Kapitel widmet, ist ein kauziger Friedhofgänger, der überzeugt ist, die Toten ebenso wie die Vögel sprechen zu hören und dem es Freude bereitet, sich Geschichten für diese erloschenen Leben auszudenken. Liebevoll redet er mit ‚seiner‘ Bank unter der krummen Eiche, die er regelmäßig aufsucht und auf der er nur zu gerne seine Zeit zurückgewinnen würde. Dieser greise Protagonist spürt auf dieser Bank deutlich, wie die Endlichkeit fassbar wird, und dabei sympathisiert er mit dem Verfall. Er sucht die Gesellschaft der Toten wie alte Freunde, um die eigene Einsamkeit vergessen zu können. Denn nur wenn man der Welt den Rücken zudreht, lässt sich ein Gedanke wirklich zu Ende denken und eben das geschieht im Modus fremder Leben.

Extrem kompakt und verdichtet wird erzählt, wobei sich mehr und mehr feine Verbindungen und Querverweise zwischen den einzelnen Geschichten entspannen und einen größeren Zusammenhang andeuten. Diese teilweise winzigen Anknüpfungspunkte erinnern an David Mitchells »Wolkenatlas«, kommen hier aber sehr flüchtig, beinahe wie zufällig und unpathetisch daher.

Seethaler lotet die Parameter des Erzählens aus

Dabei gibt der Autor den Toten nicht nur eine eigene Stimme, sondern auch ihren jeweils eigenen Ton, teilweise in nur unterschiedlichen Stilnuancen, teilweise in sehr verschiedenen Erzählgerüsten.

Was die Toten berichten, gleicht der Inventur eines Lebens, manchmal sind es Momentaufnahmen, manchmal Gedankenspiele oder fingierte Dialoge.

Erzählt wird so zum Beispiel von einer zärtlich bis zum Schluss gehaltenen, verkrüppelten Hand, einem Insektensammler, einer Blumenhändlerin, einem Spielsüchtigen, einem intriganten Bürgermeister, einem zweifelnden Pfarrer, der die Kirche und sich inklusive niederbrennt, von Heide, die ihre Liebhaber zählt (67), von einem Zimmermädchen, dem man ihre Würde nimmt, einem Jungen, der lieber eine Kröte wäre, von einem tragisch fragilen Freizeitzentrum, von ganz normalen, am Leben scheiternden Beziehungen, von einer Sanatoriumsfreundschaft, vom Antrieb im Leben und einer guten Verrücktheit, von Hass, verlorenen Erinnerungen und Träumen, von Umarmungen, in denen man wohnen möchte und schließlich vom Sterben, Totsein und Zurückbleiben.

Das Portrait einer (fiktiven) Kleinstadt

Paulstadt ist der gemeinsame Nenner aller Figuren, die Kleinstadt, die zur Kulisse ihrer Leben wurde und in die sie so eingenischt sind, dass sie jeglichen Weltblick und Weitblick verlieren. Zu guter Letzt hält Seethaler noch eine Überraschung bereit in der Frage, wie es um die Sterblichkeit seines Protagonisten bestimmt ist.

»Steht meine Bank noch? Und die Birke?« (S. 239)

Fazit

»Das Feld« ist ein gelungenes Gedankenexperiment, kurzweilig, einfühlsam und berührend selbst in den kürzesten Episoden. Der schmale Roman sät aber auch eine Ahnung in mir, dass da noch Luft nach oben ist, er macht große Lust, mehr von Robert Seethaler zu lesen!

»Das Feld« von Robert Seethaler ist am 04.06.2018 bei Hanser Berlin erschienen, umfasst 240 Seiten und kostet im HC 22, 00 €.

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