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Victoria Kielland »Meine Männer«

»Alles hatte einen Anfang und alles ein Ende, und jetzt war alles eindeutig im Dazwischen.«

Victoria Kiellands Roman »Meine Männer« ist eines dieser raren Bücher, über die man jubelt, weil es endlich mal wieder etwas ganz anderes ist. Ein Text, den man ohne zu übertreiben aufsehenerregend nennen muss: Ein außergewöhnliches Porträt einer außergewöhnlichen Frau.

2021 in Norwegen erschienen hat sich die Presse in ihrem Jubel überschlagen, in den auch hochrangigste Autorenkolleg:innen eingestimmt haben. – Karl Ove Knausgård sagt: »Dieser faszinierende, unkonventionelle Roman ist absolut mitreißend.« Sie wurde als eine der wichtigsten und besten jungen norwegischen Stimmen gefeiert. In der Jurybegründung des Stig Sætterbakken Memorial Award heißt es u.a.: »Der Pulsschlag der ›kiellandesken Sätze‹ hat der norwegischen Literatur neues Leben eingehaucht.«

Kiellands Sprache zeichnet sowohl eine ungeheure Wärme als auch eine ungeheure körperliche Kraft aus. Ein Erzählen, das mit sämtlichen Gewissheiten bricht und fast taktil, zumindest aber sinnlich ist, als ob die Worte an den Fingern kleben bleiben. Mehr als alles andere ist es diese große Sinnlichkeit, die »Meine Männer« so ungewöhnlich und außergewöhnlich macht.

»Von Trauer kann niemand geheilt werden, sie verändert alles auf ewig.«

Aber was ist das für ein Buch, das für so einen Wirbel gesorgt hat? Versucht man den Plot von diesem Buch nachzuerzählen, klingt das in ungefähr so: Brynhild wächst in Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts in armen Verhältnissen auf, sie ist 17 als sie als Magd auf einem Großbauerhof arbeitet und eine leidenschaftliche Affäre mit dem Hoferben beginnt. Mit ihm entdeckt sie die Welt der Sehnsucht und der Lust. Doch als sie schließlich schwanger wird und von einem besseren Leben zu hoffen wagt, wendet sich das Blatt. Der gutsituierte Hoferbe prügelt auf sie ein und überlässt sie sich selbst. Brynhild verliert ihr Kind und flüchtet von dem Hof. Aus dieser offenen Wunde heraus erzählt der Roman. Sie zieht zu ihrer Schwester Nelli in die USA, um ein neues Leben zu beginnen. Dort wird sie sich einen neuen Namen geben, zunächst Bella, später Belle. Sie lernt neue Männer kennen und lieben, auf geradezu manische und verschwenderische Art. Im Laufe der Zeit lebt sie mit verschiedenen Männern auf ihrem Hof zusammen, doch alle sterben früher oder später auf rätselhafte Weise. Der Clou: Der Roman beruht auf der Geschichte von Belle Gunness, einer realhistorischen Person, der ersten verbrieften Serienmörderin der USA, die mindestens 15 und möglicherweise mehr als 40 Menschen ermordet hat, und wahrscheinlich auch sich selbst. Die Autorin selbst bezeichnet ihren Roman aber als eine literarische Fantasie, frei inspiriert von tatsächlichen Ereignissen.

Jedoch hätte man dieses Buch damit in keiner Wiese adäquat beschrieben. In Kiellands Roman steht nicht Belle, die Mörderin, sondern Belle, das emotionale Wesen, im Mittelpunkt. Blutige Details sucht man hier vergeblich. Erzählt wird vielmehr eine Geschichte des Begehrens.

Aber wie schreibt man aus der Sicht einer Serienmörderin? Wie wird aus Liebe Zerstörung? Und welche Fragen bleiben für immer ungeklärt? Victoria Kielland lotet hier die Grenzen des Erzählens neu aus.

… wie öffnet man sich einem Fremden? Wie hart kommt man mit sich selbst ins Gericht, wie fest ergreift man die Hand, die sich anbietet? Bella musste blinzeln, um es zu begreifen, das Lächeln im Spiegel, das echte Gesicht, es tropfte ihr eiskalt ins Blut, – wer bist du wirklich?

Es ist die Sprachqualität, die das Leseerlebnis ausmacht und dieses Buch zu einem Ausnahmebuch. Sein unverwechselbarer Ton erzeugt einen körperlich fühlbaren Leserausch, der einen eintauchen lässt in die Untiefen der Psyche dieser fragilen Person. Rhythmisch und leitmotivisch glänzend durchkomponiert wird man als Lesende mitgerissen, durchleidet die Qualen eines unstillbaren Sehnens, wird entzückt von den bildgewaltigen Schilderungen höchsten Glücks und Begehrens.

Jedoch wie es im Buch heißt: »Niemand der wahrhaft kompromisslos liebt, kann die Liebe überleben.«

»Die Wirklichkeit ist wie der Tod, am Ende holt sie jeden ein.«

Es drängt sich einem geradezu unangenehm auf: Die schreiende Welt in Brynhilds Inneren, die sie nicht zur Ruhe bringen kann. Sie gerät immer tiefer in ein Gefängnis unheilbarer Wunden und überwältigender Gefühle. Denn sie ist besessen von einer unstillbaren Sehnsucht nach mehr, nach einem ungelebten Leben, das sie nicht loslässt. Und es ist eben jene Sehnsucht, aus der eine zerstörerische Kraft in ihr erwächst.

Es ist gerade das Zusammenspiel aus größter Zartheit und Brutalität, die die Figur ausmachen und einen wirklich faszinieren. Vorgeführt wird der zerrissene Geist einer Mörderin durch das kaleidoskopische Insektenauge des Kunstwerks: ergreifend, intensiv und sinnlich.

Die Norwegerin Victoria Kielland beweist mit diesem Buch nicht nur Können, sondern auch Mut, und dafür wurde sie mit mehreren Preisen belohnt. Eine Autorin, von der wir noch einiges erwarten dürfen! Der nicht gerade einfachen Aufgabe, dieses Buch zu übersetzen, hat sich Elke Ranzinger bravourös angenommen.

Victoria Kielland: Meine Männer, übersetzt von Elke Ranzinger. Tropen Verlag, erschienen am 16.09.23, 22€.

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