Alle Artikel in: Hörbuch

Matthias Brandt »Blackbird«

In einer namenlosen Kleinstadt in den 70ern, zu Zeiten von Wehrpflicht, David Bowie und dem weißen Album der Beatles, gerät das Leben des 15-jährigen Morten, genannt Motte, durch gleich mehrere große Erschütterungen aus den Fugen. Ernsthaft jetzt?! Egal. Mir reicht das hier jetzt auch. Bei Mottes bestem Freund Bogi – eigentlich Manfred Schnellstieg, das sagt aber keiner, nicht mal seine Eltern – wurde eine Krankheit entdeckt, die ganz unwirklich klingt: ein Non-Hodgkin-Lymphom, was soll das sein? Was Motte weiß, ist, dass Bogi jetzt für längere Zeit im Krankenhaus bleiben muss, dass er für alles, was Spaß macht, zu schwach ist und dass er plötzlich nicht mehr weiß, wie er mit seinem Freund reden soll. Ihr letztes richtiges Gespräch vor dem ganzen Krankenhaus-Behandlungs-Albtraum ging übers Fürze-Anzünden, ein Thema, über das Bogi eine Menge weiß, aber das jetzt kaum mehr angemessen scheint. »Jetzt hat sich gerade alles verändert, dachte ich. Ne, dachte ich nicht. Keine Ahnung, was ich wirklich dachte. Vielleicht fragte ich mich auch nur, ob auf dem Sitzsack immer noch mein Abdruck zu sehen war.« …

Anika Decker & Katja Riemann »Wir von der anderen Seite«

Als Rahel, selbstständige Drehbuchautorin, auf der Intensivstation erwacht, hat sich alles geändert – sie sieht aus wie Mister Burns von »Den Simpsons«, abgemagert, mit gelblicher Haut, gebeugt und schwach – doch zum Glück hat sie ihren Humor nicht verloren. Und trotzdem lässt sich dieses Erlebnis nicht einfach vergessen. Wie soll man weitermachen, wenn Körper und Geist nur langsam gesunden und das alte Leben erschreckend weit weg scheint? Kann eine Liebe dieser Belastung standhalten? Anika Decker ist erfolgreiche Drehbuchautorin, bekannt geworden ist sie gleich mit ihrem Drehbuchdebüt »Keinohrhasen«. Ihr erster Roman umkreist nun in autobiografischer Anlehnung das Schicksal der jungen Rahel, deren Nierenstein an Weihnachten zu einer Blutvergiftung mit anschließendem Mulitorganversagen führte. Der einzige medizinische Ausweg: künstliches Koma. Drei Monate wird sie im Krankenhaus bleiben müssen, so stark geschwächt, dass Klo- und Spaziergänge zu epochalen Anstrengungen werden. Doch auch in der anschließenden Reha und der Rückkehr nach Hause wird es nicht einfacher. »Wir von der anderen Seite« erzählt von ihrem Versuch ins alte Leben zurückzukehren. Anika Decker schreibt schreiend komisch und herzzerreißend traurig vom schweren Weg …

George Orwells »Farm der Tiere« zum Hören

Jürgen Liebing hat sich des Orwell’schen Klassikers angenommen und als Hörspiel adaptiert. Ein Gespenst geht um, es ist der Animalismus – Die Revolution der Tiere Aufstand auf dem Bauernhof. Nachdem die Tiere – allen voran Major, ein betagter Eber an seinem Lebensabend – erkannt haben, dass ihr Leben um einiges besser wäre, wenn sie nicht für Menschen schuften müssten, um sogleich wieder um die Früchte ihrer Arbeit betrogen zu werden, steht es fest: Der Farmbesitzer Jones muss weg. Die Zweibeiner sind der Feind. »Vorwärts, Kameraden!« Da die Schweine einfach die schlausten Tiere des Hofs sind, ist klar, dass sie die Organisation in die Hand nehmen. Revolution machen. Aber vorerst muss man sich eines gemeinsamen Ideals klar werden. Wie soll sie sein, die bessere Welt der Zukunft? Animalismus nennen sie ihre Ideologie, die alle Tiere gleichstellen soll. Frieden, Freiheit, Schutz der Schwachen stehen auf der Agenda, und vor allem: niemals so werden wie der Feind. Und dann ist der Tag der siegreichen Großen Schlacht am Kuhstall gekommen und die Vertreibung des Unterdrückers durch Bisse, Tritte und …

Lucy Fricke schafft ein Monument für uns »Töchter«

Kann man seine Vergangenheit ablegen und hinter sich lassen? »›Ich wollte zum Grab meines Vaters.‹ ›Dein Vater ist tot?‹ ›Nicht der. Der andere.‹ ›Du hast so viele Väter, dass ich nie weiß, von welchem du sprichst.‹ Martha übertrieb. Es gab im Wesentlichen nur drei. Den guten, auch genannt Der Posaunist, den bösen, auch genannt Das Schwein, und den leiblichen, genannt Der Jochen.« (S. 18) Betty ist 40 und in ihrem Leben in eine Sackgasse geraten. Enttäuscht von den Männern ist sie, seit ihre zahlreichen Väter alle immer nach kurzer Zeit wieder verschwunden sind. Auch als Schriftstellerin ist sie in eine Schaffenskrise geraten und verdient sich im teuren, hippen Berlin-Friedrichshain durch Untermieter etwas Geld dazu, während sie in Auslandsreisen vor ihrer Lebensmisere davonzulaufen versucht. »Wir wohnten durcheinander, wohnten unten und oben bei den Nachbarn, schliefen auf den Sofas, während in unserer eigenen Wohnung die Partytouristen aufs Parkett pinkelten. / Ich finanzierte mich, indem ich aus der Stadt verschwand. Brauchte ich Geld, fuhr ich weg, in Gegenden, die billiger waren als diese, und davon gab es jede …

Ein echter Glücksgriff: »Auerhaus« von Bov Bjerg

Bov Bjerg alias Rolf Böttcher ist ein deutscher Schriftsteller und Kabarettist und mit »Auerhaus« gelingt ihm ein tragikomischer Roman, der unter die Haut geht. Erschienen ist sein zweiter Roman 2017 bei Aufbau Taschenbuch. Was will man mit seinem Leben anfangen und wie stellt man es an, glücklich zu sein? Ende der 80er Jahre gründen sechs Freunde eine WG in einem alten Bauernhaus auf dem Land. Das »Auerhaus« ist zugleich Schauplatz, Trainingszentrum, Begegnungsstätte, Labor und Geburtsort verrückter Ideen, tiefer Gespräche und einer Menge Unfug und Lebensmut. Das Leben im »Auerhaus« soll ein Schonraum sein, ein Refugium, doch die sechs Mitbewohner müssen schneller als ihnen lieb ist feststellen, dass das richtige Leben sich nicht aussperren lässt… Sechs Freunde sollt ihr sein Nach Frieders Selbstmordversuch ist es sein bester Freund, der vornamenlose Höppner Hühnerknecht, aus dessen Sicht die Geschichte auch erzählt ist, der versucht, ihn zu verstehen und wieder glücklich zu machen. Die Idee ist, eine WG aus sechs Freunden zu gründen, die nach Frieders Entlassung aus der Geschlossenen zusammen in dem Haus seines gestorbenen Großvaters auf ihn …

Ein literarisches Meisterwerk! Berührendes Debüt »Heimkehren« von Yaa Gyasi

Wo liegt deine Heimat, wenn du überall ein Fremder bist? Hier wird das Schicksal einer ghanaischen Familie, deren Geschichte über 7 Generationen und durch die ganze afroamerikanische Geschichte reicht, facettenreich und mit sehr viel Gefühl erzählt. Alles beginnt mit den Halbschwestern Effia und Esi, die im 18. Jahrhundert in Ghana aufwachsen. Die Familienverhältnisse könnten unterschiedlicher kaum sein – während Effia als Tochter des Fante-Stammes mit einem weißen Mann verheiratet wird und fortan in der Burg der britischen Kolonie lebt, weiß sie nichts von der Existenz ihrer Schwester Esi, die in ärmlichen Verhältnissen beim Asante-Stamm aufwuchs und gerade im Kerker der Burg gefangen gehalten und bald als Sklavin nach Amerika verkauft werden soll. Dies bildet den Auftakt der großen Erzählung, die nun im Wechsel in Ghana und Amerika spielt. Besonders schön finde ich, dass sich jedes Kapitel auf einen Charakter konzentriert, der dann im Fokus steht. Nach je 2 Kapiteln beginnt eine neue Generation. Die daraus entstandene ungewöhnliche, aber schöne Struktur, wirft den Leser in verschiedene Schicksale, Ereignisse und Lebensabschnitte der Protagonisten. Gyasi schafft es dabei …

Lasst euch verzaubern: Jan Schomburg »Das Licht und die Geräusche«

Wie stellt man es an, das richtige Leben? Und was spricht gegen das Sterben? Der erste Roman des Filmregisseurs und Drehbuchautors Jan Schomburg (Ȇber uns das All«, »Vergiss mein Ich«, »Vor der Morgenröte«) ist ein zarter und fragender Blick auf die schwierigen Jahre der Pubertät. »›Und es ist doch komplett albern, dass man so an diesen paar lächerlichen Jahren hängt. Albern! Als würde noch irgendwas Weltbewegendes passieren, bis man dann irgendwann stirbt. Sag doch mal, ganz ehrlich jetzt: Du kannst doch auch nichts sagen, was jetzt wirklich dagegen spricht, außer dass man vielleicht Angst hat davor oder man sich eigentlich ganz wohl fühlt, wie man so lebt.‹« (S. 41) »Das Licht und die Geräusche« ist Johannas Antwort auf die Frage, was eigentlich für das Leben spricht. Johanna ist in ihren allerbesten Freund Boris verliebt. Das glaubt sie zumindest. Dass es dennoch zu keinem Kuss kommt, – und das, obwohl sie doch nur drei Zentimeter von einem entfernt war – liegt wohl an Ana-Clara, Boris‘ Freundin in Portugal. Boris ist neu an Johannas Schule und beeindruckt …