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Reni Eddo-Lodge »Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche«

»Dieses Buch ist ein Versuch zu sprechen.« (S. 18)

3 Jahre nachdem die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge ihre Absage zum Gesprächsthema Rassismus via Blogeintrag gab, erschien 2017 ihr Buch »Why I’m no longer talking to white people about race«. Konträr zu ihrem eigentlichen Vorhaben, nicht mehr mit Weißen über Hautfarbe und Rassismus diskutieren zu wollen, entwickelt sich ihr Buch zu einer Gesprächseinladung. Eine Lektüre über die frustrierende Erfahrung mit Colour-Blindness, White Privilege und einem strukturellen Rassismus, eine Lektüre, die die weiße Welt neu beleuchtet und vor allem eines ist: schmerzhaft.
In Zeiten von Trump, Brexit und europaweitem Rechtsruck ist ein Austausch zu diesem Thema dringender denn je. Also sprechen wir!

»Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Rassismus nicht aus dem Nichts entsteht, sondern dass er vielmehr in der britischen Gesellschaft verankert ist. Er steckt im Kern unserer staatlichen Strukturen. Er ist nichts Externes. Er ist Teil des Systems.« (S. 69)

Renis Basis ist ein Exkurs zur Geschichte der Schwarzen bzw. People of Colour* in Großbritannien, um aufzuzeigen, dass Probleme von Migration, Integration und Diskriminierung historische Wurzeln haben. Dieser Exkurs ist sowohl interessant als auch erschreckend in der Tatsache, dass mir die beschriebenen Ereignisse beinahe in Gänze unbekannt waren. Die Vergangenheit der Schwarzen und ihr emanzipatorischer Kampf ist durch eine stark amerikazentrische Perspektive geprägt –, dass auch England eine entscheidende Rolle im Kapitel Kolonialisierung und Sklavenhandel gespielt hat, ist dagegen recht unbekannt und wird aktiv verdrängt.
Dass wir Rassismus gegenwärtig noch nicht besiegt haben, sondern er ganz im Gegenteil so tief in unseren Strukturen verwurzelt ist, dass wir ihn kaum noch sehen können oder sehen wollen, macht den antirassistischen Kampf nicht leichter.

Besonders wertvoll war für mich die simple Erinnerung, dass Rassismus viel subtiler und allgegenwärtiger ist als vielen bewusst ist und weit über offensichtlich Rechte hinausreicht. Ganz einfach, weil er strukturell ist. Rassismus zeigt sich quasi überall, er kann in Nuancen, Denkmustern oder Chancenverteilung liegen.

›Good night, White Pride‹

Wie ist es als People of Colour in einer Welt zu leben, in der das Menschsein ganz selbstverständlich mit Weißsein gleichgesetzt wird? Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Dass Weißsein als Universalität und als die Norm gilt, ist einem Weißen überhaupt nicht bewusst. People of Colour kriegen es jedoch täglich zu spüren, ihre Hautfarbe ist als ‚das Andere‘ kodiert und gilt deshalb – bewusst oder unbewusst – als verdächtig.

Renis Wunsch als 4-Jährige, auch weiße Haut haben zu wollen, um wie die guten Menschen im TV auszusehen, beweist, dass schon ein Kleinkind die weiße Ausrichtung unserer Gesellschaft begreift.
In kulturellen Produktionen kommen Schwarze kaum vor, und wenn, dann bevorzugt in Gestalt des Bösen oder – pseudo-quotengerecht – als Randfigur. In der Regel wird lediglich bei typisch ›schwarzen Themen‹ auf schwarze Protagonisten zurückgegriffen. Wie sehr wir das Weißsein als universelle Grundannahme internalisiert haben und automatisch davon ausgehen, solange nicht explizit das Gegenteil benannt ist, zeigen die hochemotionalen Reaktionen von gekränkten Fans, wenn nur die Möglichkeit des Schwarzseins beispielsweise von Hermine, James Bond oder eines Stormtroopers diskutiert wird. Solche Proteste sind ein weiteres Zeichen dafür, dass diskriminierende Tendenzen beileibe nicht nur bei offenen Rassisten, sondern auch bei vermeintlich toleranten Menschen zu finden sind.

»Das Konzept von White Privilege zwingt Weiße, die nicht aktiv rassistisch sind, sich mit ihrer eigenen Komplizenschaft bei der Aufrechterhaltung seiner Existenz zu konfrontieren.« (S. 98)

Wer sich noch nie Problemen aufgrund seiner Hautfarbe ausgesetzt sah, mit keinen kulturellen Erwartungen aufgrund dessen konfrontiert wurde und auch noch keine strukturelle Diskriminierung erlebte, „leidet“ unter White Privilege, obwohl der*diejenige paradoxerweise gerade nicht zu den Leidenden gehört. Dies meint vor allem, dass eine weiße Hautfarbe den Lebensweg positiv beeinflusst, ohne dass es bemerkt wird.

Für mich der wertvollste Effekt der Lektüre: sich des eigenen White Privilege bewusst werden. Sensibilisiert werden für die Argumentationsweise derjenigen, die nicht wollen, dass sich etwas ändert. Die Lektüre entlässt einen aus seiner weißen Blase. Doch wie soll man ein System, von dem die Mehrheit auf Kosten marginalisierter Gruppen profitiert, kippen und gerechter umgestalten?

Ein häufig vorgebrachter Ansatz, um Ungleichverteilung und Chancenungleichheit entgegenzuwirken, ist die sogenannte positive Diskriminierung z. B. durch Quoten. Diese werden – nicht selten sogar von den Bevorteilten dieser Quoten – mit den Argumenten der Leistungsbasiertheit und Unfairness abgelehnt. Wir alle wollen auf Grund von Qualifizierung und Können bezahlt und eingestellt werden und nicht wegen Geschlecht, Hautfarbe, körperlicher Versehrtheit oder Ähnlichem. Was man dabei allerdings zu schnell aus den Augen verliert, ist die Tatsache, dass die Praxis im Moment bereits unfair und diskriminierend ist, da es sonst gar keine Quoten bräuchte!

People of COLOUR-Blindness

Es ist eine unbequeme Lektüre, mit der Reni gerade den weißen Lesern, die dachten sie verhalten und äußern sich antirassistisch oder zumindest nicht rassistisch, zeigt, wie ignorant und kurzsichtig wir dem strukturellen Rassismus gegenüberstehen.

Der Ansatz, Rassismus schlicht und einfach auslöschen zu wollen, indem wir Unterschiede klein- und wegreden, Hautfarbe ignorieren, erweist sich als absolut toxisch. Reni prangert die großspurige Behauptung »We all are equal!« (83) an, denn schwarze und weiße Menschen sind es einfach nicht. Dieses Wunschdenken, dass auch als Colour-Blindness betitelt wird, dieses so-tun-als-gäbe-es-kein-Problem, ist das Problem. Und das zu erkennen ist erschreckend und doch so ungeheuer wichtig!

Der richtige Weg? Um etwas (ver)ändern zu wollen muss zunächst akzeptiert werden, dass es Benachteiligungen gibt. Es muss Diskriminierung, es muss Hautfarbe gesehen werden. Renis Buch verhilft dazu, den Blick frei zu machen.

Was ist Rassismus und ist er ausschließlich bei Weißen anzutreffen?!

Es geht bei Rassismus nicht nur um Vorurteile; die beiden Begriffe sind – auch wenn sie häufig so verwendet werden – keine Synonyme. Der entscheidende Faktor zur Unterscheidung ist, laut Reni Eddo-Lodge, Macht. Es geht um Machtinhaber in Positionen, in denen sich Vorurteile tatsächlich auf fremde Leben auswirken, und genau deswegen, meint die Autorin, gibt es auch den häufig von Weißen angeprangerten ›umgekehrten Rassismus‹ nicht. Zwar kann es unter Schwarzen auch Vorurteile und Zorn geben, deswegen werden Weiße aber nicht diskriminiert, da Schwarze in so gut wie keinen Machtpositionen zu finden sind, durch die sie rassistische Vorurteile ausleben könnten. Vor diesem Definitionshintergrund enttarnt Reni die »weiße Opferrolle« als eine zynische Ablenkungsstrategie der Weißen. »Rassismus funktioniert nicht in beide Richtungen« (S. 108).

Fazit: »Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur uns« (S. 213)

»Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche« ist ein absolut notwendiges, kraftvolles und aufrüttelndes Buch. Die Autorin bringt uns alle in die Lage, uns neu hinterfragen zu müssen und Hautfarbe als Konzept zu begreifen, dass uns alle angeht.

Es ist eine augenöffnende Lektüre, die uns erkennen lässt, wie unfassbar rücksichtslos wir Weiße uns zu oft verhalten und handeln – meist aus Unwissenheit! Aber das schützt vor Dummheit nicht und ist viel mehr Indikator für unseren Egoismus und die Ignoranz, mit der wir beim Thema struktureller Rassismus wegsehen.
Renis Buch ist ein Wach- und Wutmacher, ein Schlag ins Gesicht, der uns mit einem blauen Auge davonkommen lässt. Sie animiert am Ende ihres Buches zur Nutzung der entstandenen Wut im Kampf gegen die Ungerechtigkeit des weißen Systems, denn: Rassismus ist nach wie vor ein weißes Problem!

»Ich betrachte mich als Teil einer Bewegung, und ich glaube, wenn dich tief berührt, was du in diesem Buch liest, dann bist du auch Teil dieser Bewegung. Es geschieht genau jetzt.« (S. 236)

Ganz schonungslos macht die Autorin klar, dass es nichts bringt, wenn Weiße sich als Reaktion auf ihre Ausführungen schämen und endlos entschuldigen – HANDELN heißt die Devise, sonst wird sich an den Gegebenheiten nichts ändern. Also los, leiht dieses Buch all euren Freunden und redet so viel darüber wie ihr nur könnt!

 

* Im Folgenden wird von Schwarzen die Rede sein, gemeint sind damit People of Colour im weitesten Sinne.

 

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»Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche« von Reni Eddo-Lodge, aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube, erschien am 31.01.2019 beim Tropen Verlag (Klett-Cotta), umfasst 263 Seiten und kostet in Form einer Klappenbroschur 18,00 €.

Auf Englisch: »Why I’m No Longer Talking to White People About Race«, erschien am 01.06.2017 bei Bloomsbury und kostet als Paperback £8.99.

 

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