Literatur
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Lukas Rietzschel »Mit der Faust in die Welt schlagen«

»Ich meine, Sie halten einen wichtigen Roman in der Hand.« (Gunnar Cynybulk, Verleger Ullstein)

Der gerade einmal 23-jährige Lukas Rietzschel hat den Roman der Stunde geschrieben: »Mit der Faust in die Welt schlagen« erzählt von der ostsächsischen Provinz, von der Perspektivlosigkeit einer Gegend, der Langeweile und der destruktiven Wut der Jugend und von dem Gefühl, zu kurz zu kommen. Die Milieustudie aus Dunkel-Sachsen beginnt im Millenniumsjahr und kann Erklärungsansätze für Phänomene wie Pegida-Aufmärsche, AfD-Erfolge und Attacken gegen Migranten liefern. Ein Thema, das durch die Vorkommnisse in Chemnitz heute nochmal brennendere Aktualität erhält.

Der Roman nimmt die Brüder Philipp und Tobias in den Blick, die in Neschwitz in der Lausitz aufwachsen. Das Kleinstadtleben ist geprägt von der Tristesse aus Steinbruch, Tagebau und Wohnblock. Eine stete Landflucht führt zu Leerstand, Ruinen und Brachflächen. Der Alltag der Kinder in Ostsachsen ist durchdrungen von Langeweile und Unzufriedenheit. Am interessantesten sind die älteren Jugendlichen, die in ihren Autos herumlungern, zusammen Bier trinken und Böller werfen. Als die Ehe der Eltern beginnt zu zerfallen, ist das der Anfang eines umfassenderen Abstiegs. Während Philipp sich vor allen zurückzieht, ist Tobi einer der ersten auf den Pegida-Demos in Dresden.

 

Der Rechtsruck in Deutschland, für den das sächsische Chemnitz und Dresden nun beinahe stellvertretend stehen, besitzt schärfste Brisanz und scheint ein Symptom zu sein, in dem sich viele Themen und Probleme der Moderne treffen. Rietzschel weiß, wovon er schreibt, schließlich hat er seine Kindheit tatsächlich in der sächsischen Provinz verlebt und stellt sein jetziges Schaffen und kulturelles Engagement in den Dienst des Widerstands gegen fremdenfeindliche Bewegungen. Ein zwar blutjunger, aber sehr intelligenter, wortgewandter, politisch engagierter und beobachtungsscharfer Autor, der auf Lesungen enorm sympathisch und vereinnahmend ist.

»Mit der Faust in die Welt schlagen« – ein Buchtitel, der gelungener, präziser und kraftvoller nicht sein könnte – will eine düstere, bedrückende Zeit- und Gesellschaftsstudie sein. Was gut gedacht ist, funktioniert bedauerlicherweise aber in meinen Augen nicht richtig. Mein größtes Problem bei der Lektüre ist, dass sich die Atmosphäre, um die sich der Autor merklich bemüht, nicht recht einstellen will. Ich habe das Gefühl, dass ich verstehe, worauf es der Roman anlegt, Stil und Wirkung überzeugen mich aber in den seltensten Fällen. Der Sound wirkt bemüht. Besonders deutlich wird mir meine Unzufriedenheit an den Stellen, an denen für mich Atmo und Figuren gut funktionieren und lebendig werden, so zum Beispiel beim Schicksal des Meth-abhängigen Felix, der an Heiligabend halluzinierend um das Elternhaus der Brüder schleicht.

Bonjour Tristesse!

»Vater, der mit ihnen in die Tagebaue gefahren war. Alte Fabriken. Hoyerswerda, Weißwasser. Dieses ganze, eingefallene, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße. Kein Mensch auf der Straße. Abriss und Leerstand. Aber Hauptsache raus, Hauptsache was unternommen. Damals dies, damals das. Tobias rümpfte die Nase. Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und Arztpraxen. Die Kreise, die sie zusammenlegten, die Gemeinden und Städte. Die Wege wurden länger, die Entfernungen größer. Für Griechenland war Geld da gewesen und für unnötige Umgehungsstraßen. Schnellstraßen, damit niemand mehr durch die traurigen Orte fahren musste. Tobias fragte sich, was zuerst da gewesen war. Die Straßen, die die Orte umgingen und damit leer fegten. Oder die leeren Orte, an denen jeder vorbeifahren wollte. Gerne schnell und ohne Schlaglöcher. Er fragte sich manchmal, ob der Eindruck stimmte, dass ihm alles entglitten war.« (S. 248)

Das Ostsachen des Romans ist geprägt von der Trostlosigkeit der diversen DDR-Überbleibsel: die Krater der Steinbrüche und des Tagebaus, Kraftwerke, das stillgelegte Schamottewerk, marode Straßen, aufgeplatzter Asphalt und graue Wohnblöcke bilden das Setting der Familiengeschichte. Es entsteht der Eindruck, die Gegend sei bis zum Horizont erbaut aus Betonplatten und Asbest. Schulen, Geschäfte, Fabriken und Apotheken schließen eine nach der anderen, viele Familien kämpfen mit Geldproblemen, die jungen Frauen ziehen gleich nach ihrer Schulzeit in den Westen, eine Zukunft kann sich niemand so recht in der sächsischen Provinz vorstellen. Der Aufbau Ost scheint hier nicht angekommen zu sein. Zumindest sind das die Bilder, die Rietzschel erzeugen will, warum sie sich bei mir nicht recht entfalten wollen? Vielleicht liegt das am adjektivarmen Benennungsstil? An der fehlenden eigenen Erfahrung als ‚West-Mädchen‘?

Die tägliche, übergroße Langeweile lässt sich als Wurzel allen Übels ausmachen, in Kombination mit den falschen Freunden ist sie Triebfeder für Pöbeleien und Schmierereien, Randale und Zerstörungswut. Die einzigen Ereignisse, die das Nest Neschwitz für seine Jugendlichen zu bieten hat, sind der jährliche Jahrmarktrummel, das Hexenfeuer zu Ostern und die Böllerei an Silvester. Gesucht werden kleine Abenteuer beim Schwimmen in den Steinbruchseen und Klettern in der Schamottewerkruine. Aber vor allem führt die ewige Langeweile zu exzessivem Rumhängen, Rumschmieren, Rumspucken, Steinewerfen, Jüngere schikanieren und zum ständigen Griff zur Bierflasche, sie alle kratzen nah am Alkoholismus, nicht wenige verunglücken mit Suffkopf.

»Einmal hatte Tobias ihn gefragt, warum sie jetzt da waren, wo sie waren. Warum Elisabeth nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Weggezogen war, wie alle diese Strebermädchen. Warum Rico fett und sein Bruder im Gefängnis gewesen war, Felix drogenabhängig und Christoph schwul. Warum Robert seine alte Klassenlehrerin zu lieben schien und Axels Bruder immer noch arbeitslos war. Diese ganzen Versager.« (S. 265)

Philipp und Tobi geraten beide an einen ‚Freundeskreis‘, in dem ein rauer Ton herrscht. Hier tuen sich Sprücheklopfer zusammen, die lieber Floskeln und ironische Beleidigungen austauschen, als sich zu öffnen. Die Jungs stiften sich gegenseitig zu Dummheiten an, ziehen eine Show ab, stellen ihre ständige gespielte Aggressivität aus, schüren untereinander Unzufriedenheit, Vorurteile und Hass. Der bewunderte Anführer Menzel übt fast schon eine Angstherrschaft aus. Sein Gefolge besteht aus eingeschüchterten Mitläufern, sie alle auf der Suche nach Bestätigung, Aufmerksamkeit, Zugehörigkeit. Tobi und Philip suchen deren Nähe, obwohl sie sich in Menzels Kreisen nicht selten unwohl fühlen. Eigentlich sind die Jugendlichen von Neschwitz bedauernswerte Loser, Schisser, angepasste Mitläufer, verschämte Jungfrauen. Tendenziell bildungsfern oder zumindest mit simplen Interessen ausgestattet folgen sie schlechten Vorbildern.

Neben dem tristen Trott im Dorf, der alles bestimmenden Langeweile der Jugend, tragen auch noch andere Bedingungen zu ihrer menschenfeindlichen Gesinnung und ihrer politischen Radikalisierung bei: Zu allererst fehlende Kommunikation, alles wird in Neschwitz totgeschwiegen, es wird weggeguckt, gelogen, hinter Floskeln eine gefährliche Verschlossenheit gehegt. Unbedingt muss der Familienruf im Dorf geschützt werden, es zählt, was die Leute denken, und die reden viel. Außerdem verharmlosen die Neonazis, die sich vor diesem Label retten wollen, ihre Einstellungen und Taten, es sei ja alles nur ‚Spaß‘. Extrem destruktiv zeigt sich die Jungenclique, durchdrungen von Gewaltphantasien und dem Wunsch, alles zu zerstören, was ihnen in die Finger gerät. Dieses Auftreten steht ihrem proklamierten Ziel, nämlich dem Wunsch nach einem besseren Leben, nach Heimatschutz und Patriotismus, der hierzulande einen verbotenen Stolz darstellt, so haarsträubend entgegen. Mit Softair-Waffen spielen sie im nahegelegenen Wald Krieg, sprengen Telefonzellen, Garagen und verbrennen Pavillons.

 

»Der kleine Funke, der genügte.« (S. 180)

Dieser Funke, der ausreicht, die schwelende Unzufriedenheit in tatkräftige Radikalisierung zu verwandeln, ist die Berührung mit Geflüchteten in Neschwitz. Eine lodernde Wut, die neben kleineren Zerstörungen im Laufe der Erzählung zu drei Attacken gegen Migranten führt, die in der leerstehenden Grundschule untergebracht werden sollen.

Die Feindbilder der Neschwitzer Pegida-Gänger häufen und überlagern sich: die sorbische Minderheit, die eine Art Parallelgesellschaft bildet, gläubige Christen, Juden, Bonzen, Schwule, Zigeuner, Schwarze, Muslime, Migranten – eigentlich haben sie etwas gegen alle und jeden, dazu kommt ein ausgeprägter Antiamerikanismus, sie kritisieren den Westen, die EU und den polnischen und tschechischen Nachbarstaat. Das größte Misstrauen bringen sie jedoch gegen die katholischen Sorben auf, die als eine Arte neue Juden herhalten, und denen es angeblich immer besser ging.

»Eine Gruppe Jungen ging vorbei. Sie musterten Philipp und die andern. ›Was guckt ihr so?‹, rief Menzel und ging auf sie zu. Sie begannen zu rennen. Menzel hinterher. Fest und sicher auf der überfrorenen Straße. ›Sorbenschweine‹, rief er, ›ihr seid auch noch dran!‹ Dann hob er etwas von der Straße auf. Philipp konnte es nicht erkennen. Und warf den Gegenstand in die Richtung der Jungs. Er kam zurück und keuchte. ›Sorben erkenn ich auf hundert Meter‹, sagte er. ›Die sind wie Nigger, die kannst du gar nicht verwechseln.‹ Das hatte Menzel nur zu ihm gesagt. ›Du bist Halbsorbe‹, rief ihm Ramon zu. ›Halt die Fresse‹, rief Menzel zurück.« (S. 196)

Die Gruppe um Philipp und Tobi bedient sich ohne Logik oder klare Linie unreflektiert verschiedenster Symbole wie der preußischen Fahne, Hakenkreuz, Hitlergruß, Glatze oder rechten militaristischen Liedern, lehnt es aber ab, mit dem „Nazi“-Begriff in Verbindung gebracht zu werden. Als sie beschließen, weniger offensichtlich an das antifaschistische ‚Erbe‘ anzuknüpfen, werden aus Skinheads Nipster. Nicht nur das drastisch radikale rechte Gedankengut ist beim Lesen schwer zu ertragen, besonders die Widersprüche in Argumentation und Anschauung haben mich verärgert. So können die Jugendlichen für nichts wirklich Interesse oder Begeisterung aufbringen, alles ist scheiße und eh alles egal, aber dann wollen sie eben schnell das Land vor der Invasion der Migranten retten. Einerseits halten sie die Landflucht für den Kern des Problems, dann aber sind zugezogene Asylbewerber eine Bedrohung und das gut gefüllte Rummelfest eine Zumutung. Die sich schrittweise radikalisierenden Jugendlichen werden zum Glück aber nicht als böse Menschen gezeichnet, sie tragen auch liebevolle oder verantwortungsbewusste Züge.

»Dumme Menschen und Ausländer pflanzten sich schneller fort als normale und überhaupt Deutsche. Seit Sarrazin konnte es endlich jeder lesen. Wer ein bisschen nachdachte und die Augen offen hielt, hatte es längst bemerkt. An solchen Abenden sah man, wie sich die Assis und Kanaken in Scharen tummelten.« (S. 280f.)

Thilo Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« ist so eine Art Bibel für die Jungs, das Glaubensbekenntnis, das die Angst und Abscheu vor dem Fremden und ihr Untergangsgefühl weiter schürt. Jeder Beitrag aus den Nachrichten wird so aufgenommen, dass er zum sprichwörtlichen Öl auf den Mühlen wird. Auch die Erwachsenen in Neschwitz geben sich einem Ohnmachtsgefühl hin. Sie sind sich sicher, dass der Terror nun allgegenwärtig ist und sie fühlen sich ausgeliefert. Von den Politikern vergessen, benachteiligt. So entsteht bei allen gleichermaßen eine ständig spürbare Wut auf besser Situierte, auf Akademiker und Westdeutsche. Jeder steht unter Generalverdacht, sich für etwas Besseres zu halten und auf einen herabzuschauen, sogar innerhalb der Dorfgemeinschaft und zwischen den Ortschaften herrscht Misstrauen und Konkurrenz. Man sucht nach Schuldigen auf allen Gebieten und ist nur allzu schnell dabei, die eigene Verantwortung an seiner Lage abzugeben.

Dabei hat sich mir nicht so richtig erschlossen, in welchem Licht hier die DDR-Vergangenheit erscheint. Wird sie zum Schuldigen an der Misere der Region erklärt? Oder trauert man der guten alten Zeit nach? Immer noch ist sie identitätsstiftend in den neuen Bundesländern, leider wird diese für die Geschichte meines Erachtens zentrale Thematik nicht deutlich genug herausgearbeitet. Ganz prominent verhandelt Rietzschel dafür das diffuse Gefühl der Sachsen, dass alles den Bach runter geht, ihnen alles genommen wird, sie allein gelassen werden, sich niemand in der Politik um sie kümmert oder sich auch nur interessiert. Das umfassende Unverstandenheitsgefühl verkörpert Tobi sehr stark und man kann gut beobachten, wie diese Politikverdrossenheit in eine unbestimmte Wut umkippt. Das Ventil für seine Wut findet Tobi dann schnell für sich in den Sprechchören während der Aufmärsche in Dresden oder wenn es darum geht, eine Schlägerei mit den Asylbewerbern anzufangen. Sein älterer Bruder Philipp dagegen zieht sich vor diesem Freundeskreis zurück. Auch eine problematische Flucht vor Problemen, allerdings in die Einsamkeit, die als Befreiung wahrgenommen wird. Die titelgebende Faust, die immer wieder im Roman geballt wird, steht für die ganze trotzige Wut, den ohnmächtigen Aktionismus, die scheinbare Gegenwehr der Jungs.

»›Als würde dich die ganze Zeit jemand fest umklammern, aber du willst das gar nicht. Du willst raus, aber du kannst nicht.‹ (…) ›Und dann will ich auf alles einschlagen, richtig rein mit der Faust, bis alles blutet. Der ganze Mist, den einfach keiner rafft.‹ (…) ›Dieses ganze System ist am Arsch‹, sagte Menzel. ›Diese Gesellschaft, wo niemand mehr sagen kann, was er will. Wo dir vorgeschrieben wird, was du essen, wie viel du trinken und wie schnell du fahren darfst. Du bist ein Rassist, du bist ein Sexist! Die sollen alle mal die Frese halten!‹ ›Weißt du, was ich glaube?‹, sagte Tobias. ›Hm?‹, fragte Menzel. ›Es braucht mal wieder einen richtigen Krieg.‹« (S. 293f.)

 

Denn was hinter der allumfassenden Wut steht, ist Tobis Vermutung, einer Verschwörung ausgeliefert zu sein. In seinen Augen werden Ausländer in Deutschland von Gutmenschen unverdient hofiert und versorgt, während sie den Deutschen ihre Lebensgrundlage wegnehmen. Ein schrecklicher Plan, den zu durchschauen scheinbar niemand kühn genug ist. Eine Erkenntnis, die ihn zum Handeln antreibt, bevor es zu spät ist. Es fühlt sich für Tobi wie eine Rettungsmission an, zu den Pegida-Demos zu fahren und den Syrern in Neschwitz Angst einzujagen. Gleichgesinnte organisieren sich über die sozialen Medien: Heimatschutz, Bürgerwehr, Patrouillen, Proteste. Am Ende des Romans steht eine Verzweiflungsaktion, um den zur Verfügung gestellten Wohnraum für Geflüchtete unbewohnbar zu machen: Sie fluten die alte Schule. Doch in Tobi regen sich Zweifel und eigentlich möchte er von seinem Bruder von dieser Straftat zurückgehalten werden. Ein Ende, das mir irgendwie unstimmig und ein wenig absurd vorkam. Zum ersten Mal ist die Geschichte hier effekthascherisch und es steht ihr nicht gut zu Gesicht.

 

Einschätzung

Rietzschel lässt sich viel Zeit, sein Thema zu entwickeln, dann schließlich trägt er in unzähligen Gedankenmonologen für meinen Geschmack zu dick auf. Stilistisch präsentiert er sich eher kühl, distanzierte Beobachtungen und im Ganzen viele Beschreibungen prägen die Geschichte der beiden Brüder, die Sätze meist stark elliptisch gebaut. Seine ausgeprägte Vorliebe für in medias res-Einstiege wird mit der Zeit etwas anstrengend. Ständig wird man nach Zeitsprüngen in eine Szene hineingeworfen und Figuren vermeiden auffallend lang, das Thema der Szene, den Gegenstand des Dialogs genau zu benennen. Der weist Roman kaum gut zitierbare Stellen auf. Fast jede Szene muss ‚übersetzt‘ werden, scheinbar unwichtige Momente werden geschildert und man fühlt sich dabei ständig herausgefordert, das ‚eigentliche‘ Thema aus den Schilderungen herauszufiltern. Alles soll nur angedeutet werden, hinter banalen Beschreibungen hindurchschimmern, was allerdings nicht immer funktioniert oder einfach anstrengt und frustriert. Diese Schreibtechnik schlägt dann aber irgendwann in ihr Gegenteil um und Rietzschel führt immer wieder sehr explizit vor, um was es ihm geht. Auch der Metapherngebrauch war mir stellenweise zu gewollt, da ist die Rede vom kleinen Funken, der rechten Faust oder dem Hakenkreuz, das sich nicht entfernen lässt.

Zwar versucht der Autor, Klischees zu vermeiden, so erscheinen beide Brüder mal anständig und mal wie Faschisten, aber dann schleichen sich doch immer wieder stereotype Bilder und Sätze ein. Vielleicht will der Roman gar keinen Erklärungsansatz zum Phänomen des Rechtsrucks liefern, trotzdem wirkt die Geschichte auf mich eher plakativ, die Denkmuster und Formulierungen der Pegida-Gänger banal und bekannt. Ich habe mich gefragt, ob mir die erzählte Entwicklung, das langsame Abrutschen und schrittweise Radikalisieren glaubwürdig erscheint. Der Text liefert zwar gute Gründe und motiviert die Entwicklung über verschiedene Momente – da ist das zerbrechende Kleinfamilienglück, als der Vater eine Affaire beginnt, schließlich aus dem Eigenheim auszieht und so den gesellschaftlichen Abstieg der Familie auslöst, die Kinder, die zu oft alleingelassen oder zu den Großeltern abgeschoben werden, da ist der kraftzehrende Trott, die graue Gleichförmigkeit des Alltags und die Perspektivlosigkeit der Region, die eigentlich lediglich eine Illusion ist –, ich kann den Figuren diesen Wandel trotzdem nicht so recht abkaufen.

 

Fazit

»Mit der Faust in die Welt schlagen« hat eigentlich alles: ein wunderschönes Cover, einen extrem starken Titel, einen faszinierenden und intelligenten Jungautor, der zum Chronist unserer Zeit wird und sich an die Aufgabe wagt, Worte zu finden für »das Nichts, die Vergiftung«, den Zusammenbruch einer humanen Demokratie, den menschlichen Rückschritt. Ein engagierter Autor, der über das Schreiben hinaus auch seinen Alltag dem Kampf gegen die sich ausbreitende Vergiftung durch rechtes Gedankengut widmet.

Ich will so sehr, dass mir dieses mutige und wichtige Buch gefällt, aber zu meinem aufrichtigen Bedauern finde ich es an vielen Stellen einfach nicht überzeugend gemacht.

 

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»Mit der Faust in die Welt schlagen« von Lukas Rietzschel umfasst 320 Seiten, erscheint bei Ullstein am 07.09.2018 und kostet 20,00 € als Hardcover.

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