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Helena Adler »Die Infantin trägt den Scheitel links« – nichts für Angsthasen und Faultiere!

Sippe und Dorf – (k)ein Anti-Heimatroman

Räubertochter, Höllenbrut, Satansbraut – so nennt man sie im Dorf. Sie selbst bevorzugt den Adelstitel »Infantin«. Und sie fackelt nicht lang: Schon im ersten Kapitel brennt die Sechsjährige das halbe Gut der Eltern nieder. Als Sprössling einer Familie, die seit Generationen Bauern sind, hält die österreichische Provinz wenig Idylle für die Protagonistin dieser morbiden und derben Erzählung bereit. Von den tyrannischen Zwillingsschwestern, dem Trinker-Vater und unter der strengen Regentschaft der Hofdrachen-Mutter fühlt sie sich unverstanden und nicht zugehörig, bevorzugt die Gesellschaft der Hoftiere. Vor den Augen der Infantin verwandeln sich die eigenen Familienmitglieder zu einem Rudel aus fleischfressenden Bestien.

»Meine Mutter rastet nicht, habe ich immer geprahlt. Und wenn sie rastet, dann rastet sie aus.« (24)

Mit erzählerischer Sprengkraft und satirisch überhöht schreibt Helena Adler von einer Familie, die so gar nicht alltäglich oder harmonisch ist und schickt ihre Figuren auf eine geradezu absurde Abwärtsspirale. Die Autorin setzt stets noch einen drauf, was in ihrer verqueren Logik bedeutet, dass es für alle steil abwärts geht. Eskapaden, Zerstörungswut, Psychiatrie, Gefängnis.

Das klingt alles sehr drastisch, dabei macht »Die Infantin« in erster Linie aber enorm viel Spaß und bringt eine Menge Komik mit, wenn die Kleine barfuß in Stallstiefeln zwischen den Hennen umherhüpft und als Unterstützung zum Eierlegen Under Pressure für sie singt oder wenn die märchenhaft bösen Schwestern ihr um sie zu piesacken von atemraubenden Kobolden und ähnlichem Gesöcks erzählen.

»Die Zwillinge berichten von Wurzelkobolden, die in der Nacht in Schlafgemächer schleichen und kleinen Kindern den Atem stehlen und ihn in Säcke abfüllen, um ihr stickiges Erdreich zu belüften. Ich blase Luftballons auf und lege sie als Notration unter mein Bett.« (52)

Unterkriegen lässt sich die Infantin ohnehin von niemandem: »Irgendwann werde ich größer sein als ihr. Und dann ist Zahltag.« (106)

Kann man diesem Gör trauen?

Was den Wirklichkeitsgehalt der infantischen Berichterstattung angeht, ist nicht immer klar, was Fantasie, Traum, Übertreibung, Metapher oder tatsächlicher Racheakt ist. Legt sie den älteren Schwestern, die sie liebevoll auch »Pest und Cholera« nennt, wirklich einen Kuhkopf ins Bett, um ihnen die Gemeinheiten heimzuzahlen? Die Infantin schlägt zurück, sie rebelliert mit ordentlich »Rambazamba« und »mit Bomben und Granaten«. Zumindest in ihrer Vorstellung.

Wenn die Rebellion zur Eskalation wird.

Dabei verweilt Adler nicht in der Kindheit ihrer Protagonistin und zwingt die peterpaneske Infantin zum Erwachsenwerden. Das stellt sich auch für die Leserschaft als irritierender Bruch etwa auf der Hälfte der Erzählung dar. Neue Zeiten brechen an und neue Probleme brechen sich Bahn: Bauerndiscos, Alkoholvergiftung und Zerstörungswut, Sex, Drogen, Kotzorgien und Depressionen.

»Es ist der letzte Sommer, bevor ich aufs Gymnasium wechsle. (…) Der Rohbau des neuen Hauses ist schon so gut wie fertig, mir wachsen Brüste und neue Ideen. Ich möchte einmal Kunst studieren. Ich möchte auf einer Body Farm nackt Verwesungsprozesse dokumentieren. Ich möchte ein Stück von meinem Bauchfett kosten. Ich möchte mit Rilke, John Steinbeck und Samuel Beckett vögeln. (…) Ich möchte meinen Namen auf Infantin ändern.« (119f.)

 

»Ich bin der Albrecht Dürer der Moderne.« (25)

Was den Roman aber in erster Linie ausmacht, ist seine stilistische Gewandtheit. Anspielungsreich und wortverspielt, in drastischer Sprache, mit krassen Bildvergleichen und einer bodenlosen Metaphorik bei eher dürftiger äußerer Handlung. Sie erneuert für sich den Jelinek-Sound: vulgär, kühn, wild, derb und voller Bauernschläue, in Stakkatosätzen und Assoziationsserpentinen liebäugelt sie mit einer Ästhetik der Hässlichkeit. In grellen Farben und Tönen entsteht so eine Familie wie aus dem Gruselkabinett.

»Wir flippern uns die Beine wund, während sich die Schwarze Anna die Knie beim Ficken mit dem Bundesheerler aufscheuert. Sie ist zwölf und wir brüskiert. Angewidert und fasziniert.« (124)

Ein besonderer Clou: Jedes Kapitel ist nach einem Kunstwerk benannt, das in einer bestimmten Beziehung zum Text steht und eigentlich crossmedial gelesen werden müsste, mit dem jeweiligen Gemälde vor Augen. So entwickelt die Autorin ihre Erzählung wie Wörter auf einer Leinwand und lässt sie zum sprachlich dichten Kunstwerk aufsteigen.

Ein schmales Büchlein mit Wumms, ein abgründiges Sprachkunstwerk, rauschhaft, witzig und voller Fabulierlust. Helena Adler schreibt wie Punk, sie findet einen neuen, mutigen Ton – so schreibt man heute über die Zumutungen des Heranwachsens! Dieser Roman ist ein Erlebnis. Er stampft, krakeelt und haut ordentlich auf den Tisch – etwas, das man selbst erleben sollte!

Für den Deutschen Buchpreis war »Die Infantin« wohl eine Spur zu wild, auf den Preis der Hotlist 2020 und den Österreichischen Buchpreis kann Helena Adler aber noch hoffen. Wir drücken die Daumen!

»Ich falle, nichts hält mich. Da bemerke ich erst, dass ich schon seit Jahren am Boden liege. Doch es ist mein Boden. Es ist dieser Boden, der mich getragen hat, weil die Eltern es nicht konnten und die Schwestern es nicht wollten. Dieser Boden, auf dem ich liege, weiß alles über mich. Er ist meine Heimat. Und jetzt werde ich daraus verjagt. Die Hagar wird vertrieben. (…) Man hat mir meine Heimat genommen und meine Kindheit dazu. Der Bauernhof war mein Jerusalem, eine Urheimat, betonierte Plazenta.« (176f.)

 

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»Die Infantin trägt den Scheitel links« von Helena Adler umfasst 192 Seiten, erschien am 28.2.2020 bei Jung und Jung und kostet fest gebunden 20,00 €.

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